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Raus aus der Behandlung

Seid stolz auf Euren Beruf und versteckt Euch nicht

Interview mit Annika Huwe, Ergotherapeutin und stellvertretende Leiterin einer Kita
Als Annika Huwes Tochter zwei Jahre alt ist, trennt sie sich von ihrem damaligen Mann. Im Januar 2011 wollte sie eigentlich wieder als Ergotherapeutin in ihrer alten Praxis anfangen. Im Herbst 2010 startet sie daher die Eingewöhnungsphase ihrer Tochter in einer inklusiv arbeitenden Kita. Das änderte alles im Leben der heute 40-Jährigen. Mittlerweile ist sie stellvertretende Leiterin der Kita – und sieht großes Potenzial für Ergotherapeuten im Kita-Bereich.
Seid stolz auf Euren Beruf und versteckt Euch nicht
© Annika Huwe

Frau Huwe, wie sind Sie zu dem Beruf der Ergotherapeutin gekommen?

HUWE | Ich wusste schon sehr früh, dass ich Ergotherapeutin werden möchte. Nach dem Abitur 2000 bin ich von Flensburg nach Hessen gezogen und habe dort ein freiwillig soziales Jahr in der Behindertenhilfe absolviert. Dann startete ich mit meiner Ergotherapie-Ausbildung am Klinikum Frankfurt Höchst. 2004 war ich fertig und habe vier Jahre in Praxen im Bereich Neurologie und Pädiatrie gearbeitet. Während der Zeit lernte ich meinen damaligen Mann kennen, 2008 bekam ich unsere Tochter. Dann stieg ich erst einmal aus dem Beruf aus. Geplant waren drei Jahre, daraus wurden dann aber nur zwei.

Wie kam es zu dem früheren Start?

HUWE | Als meine Tochter zwei Jahre alt war, haben mein Mann und ich uns getrennt. Ich wollte im Januar 2011 wieder in meiner alten Praxis arbeiten, darum habe ich im September 2010 begonnen, meine Tochter in der Krippe einzugewöhnen. Während der Eingewöhnungsphase kam ich mit einer Erzieherin ins Gespräch und meinte, dass ich eigentlich gar nicht zurück in die Praxis möchte. Sie sagte daraufhin, dass in der Kita eine Stelle als Inklusionskraft frei sei. Die Leitung fand es total klasse, dass eine Ergotherapeutin sich für die Stelle interessiert und so habe ich schon im Dezember 2010 als Inklusionskraft dort angefangen. Ich habe Förderpläne geschrieben und die Eltern und Kinder betreut – ganz klassische ergotherapeutische Arbeit mit der Familie, aber eben jeden Tag. Erst habe ich noch zusätzlich in einer ergotherapeutischen Praxis gearbeitet, da die Stunden in der Kita nicht ausreichten. Als ich aufstocken konnte, verließ ich die Praxis ganz. Seit 2014 bin ich nun schon stellvertretende Leitung der Kita.

Warum wollten Sie nicht zurück in die Praxis?

HUWE | Einer der ausschlaggebenden Punkte war, dass mir der tägliche Kontakt zu den Kindern fehlte, die Möglichkeit, Entwicklungsschritte im Alltag zu sehen und auch direkt eingreifen zu können, wenn etwas nicht so gut läuft. Hinzu kommt, dass ich durch die Kombination aus Neurologie und Pädiatrie im Praxisalltag immer das Gefühl hatte, dass ich mich nicht auf einen Bereich komplett spezialisieren kann. Das hat mich auf Dauer frustriert.

Ein zusätzlicher Anreiz war – und ist –, dass ich in der Kita im öffentlichen Dienst tätig bin und nach TVÖD bezahlt werde. Man steigt u. a. automatisch in den Gehaltsstufen auf und bekommt ein 13. Monatsgehalt.

Wie haben sich Ihre Aufgaben durch die neue Tätigkeit als stellvertretende Leitung verändert?

HUWE | Ich bin seither viel mehr in der Leitungsebene tätig. Ich kümmere mich um die Dienstpläne, vertrete die Leitung, wenn sie nicht da ist, bin mit verantwortlich für die Konzeptionserarbeitung und fungiere als Schnittstelle mit dem Träger. Also alles sehr organisatorisch und administrativ. Ich hätte nie gedacht, dass mir das so viel Spaß macht. Während Corona hat sich die Lage dann ziemlich zugespitzt. Unsere Leitung war acht Monate nicht da. Zusätzlich zu meiner Arbeit in der Gruppe übernahm ich alle leitenden Aufgaben. Die Lage hat sich zum Glück wieder etwas beruhigt.

Mussten Sie bestimmte Voraussetzungen für die Stelle als Inklusionskraft und als stellvertretende Leitung mitbringen?

HUWE | Als Inklusionskraft reichte meine Ausbildung zur Ergotherapeutin. Ich habe in Eigenregie 2012 eine Weiterbildung zur Frühf.rderin gemacht und 2021 meinen Fachwirt für Erziehungswesen angefangen. Für die Stelle als stellvertretende Leitung ist das zwar keine Voraussetzung, ich mache das für mich. Ich weiß aber, dass dieser Fachwirt immer öfter Voraussetzung für neu zu besetzende Leitungspositionen in der Kita ist. Ich finde das auch sehr vernünftig, weil er auch Bereiche wie BWL und Teamführung abdeckt.

Welche Tipps haben Sie für Ergotherapeuten, die sich vorstellen können, als Inklusionskraft in einer Kita zu arbeiten?

HUWE | Wer sich für die Arbeit in einer Kita interessiert, sollte sich auf jeden Fall mit der Konzeption der Kitas beschäftigten und schauen, ob sich überhaupt Arbeitsfelder als Ergotherapeutin bieten. Denn in vielen Kitas ist es so, dass Erzieherstellen dringend besetzt werden müssen. Damit man dann nicht im Gruppendienst versackt, ist es wichtig, vorab genau mit der Leitung der Kita zu klären, welche Aufgaben man als Ergotherapeut übernimmt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Kompetenzen von Ergotherapeuten sich mit denen der Erzieherinnen in der Arbeit mit den Kindern und Familien sehr gut ergänzen – sofern die Kita-Leitung den Mehrwert einer Ergotherapeutin erkennt. Mein wichtigster Rat ist daher: Seid als Ergotherapeuten stolz auf euren Beruf und versteckt euch nicht.

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