„Wir müssen die Hemmschwellen für Gruppentherapie überwinden. Denn sie macht Spaß und motiviert alle.“

Jennifer Haseloff hat es einfach gemacht. Sie hat Gruppentherapie für Kinder in ihrer Praxis eingeführt. Sowohl ihre Mitarbeiter:innen als auch die kleinen Patientinnen und Patienten sowie deren Eltern sind heute absolut überzeugt von dem neuen Konzept. Sie hat uns erzählt, wieso sie nun auf Gruppentherapie setzt, ob die Umstellung schwer war und was sie anderen Praxisinhaber:innen rät. Jennifer, Du bietest seit März 2023 Gruppentherapie an, um den Weggang der Mitarbeiterin zu kompensieren? Ja, genau. Wir hatten eine problematische Mitarbeiterin. Nach einer Besprechung mit meinem weiteren Team habe ich dann entschieden, auf die Therapeutin zu verzichten. Voraussetzung dafür war aber, dass jede von uns am Anfang jeden Tag eine Gruppentherapie durchführen müsste, damit wir alle Patienten weiterhin versorgen konnten. Damit waren alle sofort einverstanden. Ich habe mich dann in das Thema Gruppentherapie eingelesen und das Praxisforum „Absagen managen“ von buchner besucht, in dem auch die Einführung von Gruppenbehandlungen ein Vortrag war. Heute ist es so, dass meine Mitarbeiterinnen zu mir kommen und selbst schon schauen, wer noch in welche Gruppe passen könnte oder Ideen für neue Gruppen haben. Deine Mitarbeiterinnen waren also sofort einverstanden. Und wie haben Eure Patientinnen und Patienten reagiert? Bei meinen Mitarbeiterinnen war sofort die Stimmung: Ja, cool, wenn das geht, versuchen wir es gerne. Da waren wir uns einig. Wir wollten es zusammen ausprobieren und wenn es klappt, ziehen wir es durch, wenn nicht, korrigieren wir eben. So haben wir es dann auch unseren Patienten bzw. den Eltern vorgestellt. Wir haben den Weggang der Kollegin ein wenig für die Kommunikation genutzt. Den Eltern ihrer Patienten haben wir dann gesagt: Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder kann Ihr Kind in eine Gruppentherapie wechseln oder Sie kommen auf die Warteliste für eine Einzelbehandlung. Die meisten waren sofort einverstanden mit der Gruppentherapie. Und hat die Umstellung bei allen gut funktioniert oder gibt es auch Kinder, bei denen Gruppentherapie keine Option ist? Nach den ersten ein bis zwei Stunden haben wir sofort gemerkt, dass wir echt Glück hatten mit den Gruppendynamiken. Es gab nur eine Gruppe, bei der die Zusammensetzung nicht so gut gepasst hat. Ansonsten haben sich die Kinder richtig gut verstanden. Wir hatten Kinder in den Gruppen, die fast austherapiert waren, die dann die Neulinge an die Hand genommen und angefangen haben, die Therapeutenrolle zu übernehmen. Die alten Hasen haben also den neuen Kindern geholfen. Das war wirklich schön zu beobachten. Es entwickelte sich in den Gruppen also eine gewisse eine Eigendynamik. In manchen Gruppen passierte es aber dann, dass die Kinder sich zu gut verstanden haben. Da musst Du als Therapeut ein wenig bremsen. Dann fangen die Kinder an, Quatsch zu machen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Aber das bekommt man auch schnell in den Griff. Ich habe aber auch einen Patienten, den ich einfach nicht in eine Gruppe integrieren konnte. Er hat eine zu niedrige Frustrationstoleranz. Die Mutter wollte gerne einen Versuch in der Gruppe starten, wir haben aber beide nach zwei, drei Stunden festgestellt, dass es einfach nicht funktioniert. Er hat schließlich wieder Einzeltherapie bekommen. Auch bei Kindern, die gar nicht sprechen, machen wir zunächst immer Einzeltherapie. Wenn sich die Kinder dann weiterentwickeln, können sie in eine Gruppe wechseln. Insgesamt klingt es so, als sei die Einführung der Gruppentherapie bei Euch sehr erfolgreich verlaufen. Absolut. Die kleinen Patienten waren motiviert und die Kolleginnen haben schon nach den ersten paar Wochen gesagt: Das macht so viel Spaß, das ist einfach eine richtig gute Abwechslung zu diesen klassischen Einzeltherapien. Wir haben alle einen Motivationsschub bekommen. Mittlerweile macht jede von uns durchschnittlich zwei Gruppen am Tag. Und welche positiven Veränderungen stellt Ihr bei den kleinen Patienten fest? Die Kinder sind insgesamt alle viel motivierter und schließen Freundschaften. Außerdem wirkt sich die Gruppe positiv auf die Hausaufgaben aus. Bei den kleinen Kindern arbeiten wir mit Smileys. Ein lachender Smiley heißt „Ich habe geübt“ und ein trauriger bedeutet „Ich habe leider nicht geübt“. Wenn dann ein Kind immer besser wird und ganz viel lachende Smileys auf dem Plan hat, sehen die anderen Kinder, was es bringen kann, wenn man zuhause übt. Keiner möchte dann mehr traurige Smileys auf dem Papier haben. Die Eltern, deren Kinder vorher bei uns in der Einzeltherapie waren, geben uns außerdem ganz oft das Feedback, dass die Kinder noch bessere Fortschritte machen. Es gibt auch ganz viele positive Effekte in Bezug auf die sozialkommunikativen Kompetenzen. Wir haben ein Mädchen, das schon fast austherapiert ist. Sie ist sehr frech und lässt sich nicht gerne etwas sagen. Aber in der Gruppe hat sich gezeigt, dass sie den neuen Kindern gegenüber sehr einfühlsam sein kann. Als sie merkte, dass das neue Kind das Wort „Kuh“ einfach nicht aussprechen konnte, hat sie aufgehört, zu verbessern und stattdessen Hilfestellungen angeboten. Ihr geht also ganz individuell auf die Kinder ein. Nutzt Ihr auch die Kombination von Einzel- und Gruppentherapie? Wir spielen damit sehr stark. Es gibt Kinder, die definitiv die Einzelförderung brauchen, aber gewisse Dinge auch gut in der Gruppe üben können. Zwei Einheiten Einzeltherapie in der Woche ist bei uns leider aufgrund der Warteliste sehr schwierig, wer aber auch bereit für eine Gruppentherapie ist, kann problemlos zweimal die Woche kommen. Oder wenn ich einen Wortschatz-Patienten habe, der auch ein Problem mit der Aussprache hat, kann er an einem Tag in die eine und an einem anderen Tag in eine andere Gruppe gehen. So kann ich zwei Probleme gleichzeitig viel flexibler behandeln. Wie sieht es denn wirtschaftlich aus? Achtet Ihr auch darauf, eher keine Dreier-Gruppen anzubieten, weil sich diese im Vergleich zu den anderen Gruppengrößen weniger lohnen? Darauf haben mich tatsächlich sogar auch meine Mitarbeiterinnen angesprochen. Wir haben darauf aber verzichtet, weil der Umsatz in einer Dreier-Gruppe immer noch mehr ist als bei einer Einzeltherapie. Außerdem kann man die Gruppengrößen gar nicht exakt planen. Ich hatte eine Dreier-Gruppe, in der immer nur zwei Kinder anwesend waren. Einer fehlte immer. Das ist im Alltag normal. Ich rechne meinen Umsatzdurchschnitt außerdem immer auf der Grundlage der Einzeltherapie – also zum Beispiel mit den 65 Euro, die wir bekommen. Alles, was dann an Umsatzplus herauskommt, ist gut. Konntest Du denn in den 3,5 Monaten Umsatzveränderungen wahrnehmen? Sind hier positive Effekte zu spüren? Definitiv ja. Denn wir haben eine Halbtagskraft verloren und trotzdem sind die Umsätze gleich geblieben. Ich muss also ein Gehalt weniger zahlen, das ist auf jeden Fall ein Erfolg. Die Mitarbeiterinnen sind auch ganz aufmerksam und meinten schon: Wenn ich jetzt statt der Einzeltherapie immer eine Zweier-Gruppe mache, dann haben wir doch mehr Umsatz und wir können uns mehr Material leisten usw. Da findet auch im Team ein Umdenken statt. Wir sind auch gerade dabei, neue Räumlichkeiten zu suchen. Auch da kann ich jetzt entspannter sein und die höheren Mietkosten einfacher tragen. Bietet Ihr denn Gruppentherapie nur für Kinder an oder auch für Erwachsene? Wir haben im Moment tatsächlich wenig erwachsene Patienten. Daher hat es sich bisher nicht ergeben. Es haben aber hier im Umkreis die ersten Neurologen schon mitbekommen, dass wir Gruppentherapien anbieten. Sie wollen ihre Patienten jetzt auch an uns verweisen. Das freut mich natürlich, aber wir brauchen erstmal Personal. Was würdest Du denn anderen Praxisinhaber:innen, auch in der Ergo- und Physiotherapie, raten? Fangt mit etwas Leichtem an. In der Logopädie ist das zum Beispiel die myofunktionelle Störung. Es gibt aber in jeder Berufsgruppe Diagnosen, bei denen sich einfach Gruppen zusammenstellen lassen. Dann beginnt mit zwei oder drei Patienten, bei denen Ihr denkt, dass sie sich gut verstehen und vom Alter her gut passen. Therapeuten haben ein Gefühl dafür, wer mit wem gut zusammenarbeiten könnte. Auch in der Kommunikation sehe ich kein Problem: Ihr Kind hat so gute Fortschritte gemacht. Wir würden gerne einen Schritt weitergehen und Gruppentherapie machen. Wir haben die Kinder dann als gruppengeeignet eingestuft – etwas Positives. Wenn Ihr dann die positiven Effekte der Therapie spürt, probiert etwas Neues aus. Es macht Spaß und motiviert. Wenn ich mit Kolleginnen darüber spreche, dass wir alle so lange Wartelisten haben oder keine neuen Mitarbeiter finden und dann erzähle, dass wir jetzt Gruppentherapie machen, finden das alle erstmal richtig spannend. Doch dann kommt immer ein „Aber“. Seht einfach mal das, was Gutes passieren kann. Zum einen steigt der Umsatz, Ihr könntet Euren Mitarbeitern mehr Gehalt zahlen oder in Eure Altersvorsorge investieren. Zum anderen könnt Ihr Euren Patienten ganz neue Möglichkeiten bieten. Wir müssen diese Hemmschwelle abbauen. Auch in Bezug auf die Angst, was die Patienten denken könnten oder auch vor dem Aufwand, der entstehen könnte. Und ich nehme mich da nicht aus. Wäre bei uns die Mitarbeiterin nicht ausgeschieden und hätte mein Team nicht sofort gesagt, wir machen Gruppentherapie, hätte ich diesen Sprung wahrscheinlich auch nicht gewagt. Warum hast Du Dich nicht schon früher mit dem Thema Gruppentherapie beschäftigt? Ich wusste, dass es die Möglichkeit gibt, aber es war irgendwie nie Thema bei uns. In der Ausbildung haben wir damals noch nichts zu Gruppentherapie gemacht. Es war also nicht Teil des Lehrplans. In der Schule lernt man immer alles nur in Form der Einzeltherapie. Du wirst nicht einmal darauf hingewiesen, dass es die Möglichkeit der Gruppenbehandlung gibt. Bei uns war es dann schon ein wenig mit Überwindung verbunden, das zu ignorieren, was Du in der Schule gelernt hast: Etwas Neues zu wagen, von dem wir noch nicht wissen, ob es klappt. Jennifer, vielen Dank für das Gespräch. Diese Artikel gehören außerdem zum Themenschwerpunkt 7.2023 "Gruppentherapie": Themenschwerpunkt 7.2023: Gruppentherapie Drei Vorteile der Gruppentherapie für Praxis, Therapeuten und Patienten Ja, aber... Es ist unmöglich passende Gruppen zusammenzustellen! Nein, legt Kriterien fest und vertraut auf Euer Können Ja, aber... Es ist organisatorisch viel zu aufwendig, mehrere Personen gleichzeitig zu behandeln! Nein, definiert feste Zeiten für die Planung der Therapie Ja, aber... Die Patienten lehnen die Gruppentherapie bestimmt ab! Nein, steht Ihr dahinter, könnt Ihr auch die Patienten leicht überzeugen Ja, aber... Parallelbehandlungen und Gruppentherapie werden geringer vergütet! Nein, rechnet doch einmal selbst: Ihr könnt damit Eure Umsätze deutlich steigern