„In einer idealen Welt sind Akademisierung, Direktzugang und Selbstverwaltung miteinander verknüpft.“

Petra Krätsch-Sievert ist Logopädin, bei LOGO Deutschland für die Europa Aktivitäten zuständig und engagiert sich für die Akademisierung. Mit unserem Herausgeber Ralf Buchner hat sie über die Zukunft der Therapieberufe gesprochen. Die beiden zeigen auf, wie Akademisierung, Direktzugang und Selbstverwaltung untrennbar miteinander verknüpft sind. Im Pflegeeckpunktepapier stellt Karl Lauterbach folgende These auf: Wer im Erstkontakt arbeiten soll, muss akademisch qualifiziert sein. Und weiter: Um eine einheitliche Qualität zu erreichen, muss sich der Berufsstand selbst Regeln geben. Das kann kein anderer von außen übernehmen. Petra, ist die Selbstverwaltung, und damit die Kontrolle über den eigenen Beruf, nicht auch für Heilmittelerbringer:innen die Voraussetzung für eine flächendeckende Akademisierung? Wenn Du als Logopädin sagst, wir brauchen eine Akademisierung, dann sagst Du auch, wir brauchen eine Selbstverwaltung? Sonst setzt sich die Fremdbestimmung doch weiter fort. Das stimmt. Wir haben drei Themen, die Du hier zusammen genannt hast: Direktzugang, Akademisierung und das, was Du Selbstverwaltung nennst, früher auch oft Verkammerung genannt, weil die Kammer eben eine Form der Selbstverwaltung ist. Vor sieben bis acht Jahren war Verkammerung in unserer Branche, also in der Logopädie, ein immenses Reizwort. Das Schreckgespenst, das dabei besonders hochgehalten wurde, war die Zwangsmitgliedschaft. Das habe ich damals schon nicht nachvollziehen können. Es gibt ein Beispiel aus dem Saarland: Da sind alle Arbeitnehmenden dieses Bundeslands Zwangsmitglieder einer Kammer und zahlen einen sehr geringen Mitgliedsbeitrag jeden Monat. In der Kammerdiskussion wird die Zwangsmitgliedschaft aber immer damit verbunden, dass das wahnsinnig viel Geld kostet. Also war die Reaktion auf die Kammer: Oh nein, da muss ich irgendwo mitmachen, wo ich gar nicht mitmachen will, und es kostet mich auch noch viel Geld. Und damit war das Thema vom Tisch. Für die Logopädie hat der Gesundheitsminister die Vollakademisierung quasi schon angekündigt. Gehen wir mal davon aus, das passiert auch so, muss das dann nicht auch eine neue Organisationsform für die Logopäd:innen nach sich ziehen? Ja, es muss auf ganz vielen Ebenen an den Stellschrauben gedreht werden. Und das machen am besten diejenigen, die wissen, wovon sie reden. Inhaltlich ist es absurd, die Selbstverwaltung NICHT zu haben. Aber das leben wir seit Jahrzehnten. Wir kommen aus einem Hilfsberuf, darum muss man uns immer zeigen, wie es geht. Angeblich. Es liegt aber nicht nur an der Politik. Wenn wir heute unter allen Therapeutinnen und Therapeuten eine Abstimmung machen würden, ob es eine Selbstverwaltung geben soll, würde das Ergebnis sicher negativ ausfallen. Woran liegt das? Meiner Wahrnehmung nach liegt das daran, dass aus der Diskussion von vor zehn Jahren vor allem Ängste hängen geblieben sind, etwa die Angst vor der Budgetverantwortung. Es gibt viel Unwissenheit und oft fehlt der Ideenreichtum, wie man Dinge gestalten könnte. Da hast Du sicher recht. Aber wenn ein Berufsstand akademisiert wird, wird er damit auf ein anderes Level gehoben. Er wird zur Profession – und damit muss er sich eigentlich selbst verwalten. Jedenfalls tun das alle anderen Professionen, die mir so einfallen: Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten, Psychologen, Zahnärzte … Genau, aber Deine Frage war ja, warum finden wir das nicht sexy. Und die Antwort darauf ist, weil wir Angst vor den Kosten und den anderen Aufgaben haben. Da macht sich innerhalb der Branche schnell ein Gefühl von Überforderung breit. Wie passen denn die Berufsverbände in das Gesamtbild? Aktuell ist die Kommunikation unter den Berufsverbänden schwierig. Das könnte eine Selbstverwaltung sicher vereinfachen. Selbstverwaltung bedeutet auch nicht das Ende der Verbände. Wenn wir es mal mit den Ärzten vergleichen, da gibt es die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Ärztekammern und natürlich weiterhin Berufsverbände, wie den der Radiolog:innen etc. Ich würde sogar sagen, wir haben viel zu wenig Verbände. Die Partikularinteressen der einzelnen Berufsgruppen werden überhaupt nicht ausreichend thematisiert. Es wird nur über Versorgungsverträge diskutiert, aber das, worum es inhaltlich eigentlich gehen müsste, wird viel zu klein gekocht. Aber, lass uns nochmal auf den Direktzugang zurückkommen: Solange ich keinen Direktzugang habe, also eine Verordnung eines Arztes bekomme und daraufhin eine Leistung erbringe, ist es ja noch okay, dass der Arzt das kontrolliert. Wenn ich aber den Direktzugang habe und selbst entscheide und eigenverantwortlich arbeite, ist es dann noch korrekt, wenn Berufsfremde über mich bestimmen? Ich glaube, da bist Du in der Komplexität des Denkens schon weiter als auch die Politik im Moment. Ich gehe nochmal in diese kleine Nische Logopädie, im Vergleich zu dem großen Player Pflege oder auch der Physiotherapie. Im Eckpunktepapier will Lauterbach, dass auch Pflegende in der häuslichen Pflege verordnen dürfen. Beispielhaft werden Hilfsmittel genannt. In der Systematik der Sozialgesetzgebung sind Heilmittel und Hilfsmittel nur durch einen Bindestrich getrennt. Das heißt, die liegen in einem Topf. Wenn das Eckpunktepapier so für die Pflege umgesetzt wird und man es zu Ende denkt, kann es sein, dass auch eine Pflegekraft in Zukunft Logopädie verordnen darf. Mit weniger als 30.000 Logopädinnen und Logopäden sind wir am Rand der Wahrnehmung der Politik. Da ist der politische Wille, sich mit uns und unseren Bedürfnissen zu beschäftigen, nicht besonders ausgeprägt. Dementsprechend müssen wir selbst dafür sorgen, dass wir in die politische Wahrnehmung kommen und eben auch selbst sagen, was wir wollen. Bei diesem „Was wollen wir?“ sind wir wieder bei uns selbst und der Frage, wie die unterschiedlichen Interessengruppen miteinander kommunizieren, aber auch, wie wir eine Kommunikation an Dritte gestalten. Ich habe bisher noch von niemandem den Punkt gehört: Wenn wir voll akademisiert werden, ändert das auch unsere Organisationsstruktur. Deswegen sage ich ja, Du bist, was das betrifft, schon ein bisschen weiter. Wäre die geringe politische Wahrnehmung, die Du siehst, nicht gerade ein Grund, fertige Lösungen vorzulegen, also schlüssige Konzepte zu präsentieren? Da trittst Du bei mir offene Türen ein. Aber ich habe zurzeit nicht das Gefühl, dass da fertige Konzepte in der Schublade liegen. Den Eindruck habe ich auch. Wenn ich mich mit Funktionären unterhalte, sehe ich zwar den Willen zur Gestaltung, wenn ich dann aber frage, wo wir in zehn Jahren stehen, ist da in der Regel ein Loch. Muss das Ziel nicht sein, dass Logopäd:innen in zehn Jahren den Direktkontakt haben? Und dafür braucht man Akademisierung. Wenn ich mit Wissenschaftlern spreche, sagen die, die Akademisierung führt zu einer völlig anderen Denkstruktur. Schulischer Kontext ist ein hierarchisches Gebilde, das es nicht erlaubt, die nötige geistige Freiheit zu entwickeln, die es braucht, um Patienten im Direktzugang zu therapieren. Ich finde, das ist ein absolut valides Argument. Es muss in Zukunft klar sein, was wir dürfen und wie es bezahlt wird. Dann sind wir uns einig: Direktzugang braucht Akademisierung. In einer idealen Welt sind Akademisierung, Direktzugang und Selbstverwaltung miteinander verknüpft. Man kann nicht sagen, wir kümmern uns erst um das eine und dann um das andere. Das macht das Bohren der Bretter aber nicht leichter, weil wir tatsächlich in der Politik auch mehrgleisig fahren müssen und der Politik klarmachen müssen, dass an verschiedenen Stellschrauben parallel gearbeitet werden muss. Ich glaube, die Politik wäre sehr empfänglich für ganzheitliche Lösungen. Wenn Du sagen würdest, wir wollen Vollakademisierung und wir wollen die Selbstverwaltung, damit wir das dann auch regeln können, dann nimmst Du der Politik die Regelungsproblematik ab. Ich glaube, dass Politiker im Grunde ihres Herzens auch bequem sind und den Weg des geringsten Widerstands gehen. Ich glaube, jeder Politiker mit Kompetenz im Gesundheitsbereich ist dankbar für ganzheitliche Konzepte, die in sich schlüssig sind. Das heißt, sie müssen nicht selbst wurschteln. Und das ist auch das Ziel, denn diese Erkenntnis haben wir beide ja, wenn die anderen es regeln, wird es blöd. Wir müssen es selbst regeln und uns darum kümmern, dass das Tor zur Selbstgestaltung auch geöffnet wird. Konsequent nach vorne schauen hilft. Wo will ich hin? Wenn wir verreisen wollen, müssen wir wissen, wo wir hinwollen, sonst kommen wir da nicht an. Petra, vielen Dank, dass Du Zeit hattest, Dich mit mir über diese wichtigen Themen zu unterhalten. Hörtipp: Petra Krätsch-Sievert und Ralf Buchner im up-podcast Das gesamte Gespräch könnt Ihr Euch hier anhören: www.up-aktuell.de/podcast_selbstverwaltung