Reform der Berufsgesetze – Keine Angst vor Benachteiligung

Anfang Februar sickerte aus Berlin der Referentenentwurf zu den Berufsgesetzen in der Physiotherapie zu uns durch. Wir haben uns die Fakten angesehen und Euch die wichtigsten Punkte auf www.up-aktuell.de zusammengefasst. Daraufhin erreichten uns viele Rückmeldungen vor allem zum Thema Direktzugang, in denen wir vor allem eins heraushören konnten: Sorge um die Zukunft, Angst um die eigene Stellung in der Branche und Praxis. Diese Ängste möchten wir Euch unbedingt nehmen. Ganz wichtig vorweg: Die 145 Seiten Referentenentwurf zu dem Berufsgesetz sind ein erster Entwurf und noch kein fertiges Gesetz. Es gibt also noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, Punkte zu ändern oder zu präzisieren. Um das zu erreichen, könnt Ihr selbst aktiv werden und Eure Meinung kundtun. Welche Möglichkeiten es dabei gibt, lest Ihr in der März-Ausgabe der up. Im Moment kommen viele Sorgen und Unsicherheiten auch daher, dass der Referentenentwurf mehr Fragen aufwirft als er beantwortet. Es fehlen Details und der Entwurf spricht Punkte an, wie etwa den Direktzugang, für deren Umsetzung aber noch Veränderung an anderen Gesetzen durchgeführt werden müssen. Daher wollen wir an dieser Stelle, Eure Sorgen aufnehmen und einordnen. Die Sorge, abgehängt zu werden, ist unbegründet Für viel Diskussion und Ängste hat vor allem §2 „Eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch "Physiotherapeutin B.Sc.” und “Physiotherapeut B.Sc.“ gesorgt. Darin steht, dass Bachelor-Absolventen Patientinnen und Patienten eigenverantwortlich versorgen dürfen. Das beinhaltet neben der Diagnostik auch die Auswahl und Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten. Sie erfüllen also die Voraussetzungen für einen Direktzugang. Daraufhin gab es zahlreiche Reaktionen von Physiotherapeutinnen und -therapeuten. Dieser Kommentar von Kerstin Mücke steht exemplarisch für viele andere Rückmeldungen in diese Richtung: „Warum muss ein Therapeut, der mehr als 10 oder 20 Jahre Berufserfahrung hat, auf diese Weise deklassiert werden? In meinen Augen sind diese Ausführungen auf 145 Seiten realitätsfern und praxisfremd. Da stellt sich mir die Frage, warum man zu überteuerten Fortbildungen läuft, wenn man am Ende nur ein Therapeut 2ter Klasse ist. Man wird dafür bestraft, dass man zu seiner Zeit nicht die Möglichkeit hatte seinen Beruf zu studieren.“ Achtung: Ein Berufsgesetz regelt nicht die Details zum Direktzugang. In §2 steht lediglich, dass Physiotherapeut:innen B.Sc. in ihrem Studium die Voraussetzungen für einen Direktzugang erlangen, was aber nicht heißt, dass sie ihn direkt nach dem Studium ausführen dürfen. Das heißt auch nicht, dass schon heute feststeht, dass ausgebildete Physiotherapeut:innen sicher von einem Direktzugang ausgeschlossen sind. Es gibt auch heute schon einen Direktzugang für Physiotherapeut:innen. Diesen könnt Ihr ganz ohne Studium erlangen. Wer etwa 40 Stunden seiner Zeit investiert, kann den sektoralen Heilpraktiker erwerben und Privat- und Selbstzahlerpatient:innen schon jetzt eigenverantwortlich und ohne ärztliche Verordnung behandeln. Die Voraussetzungen dafür und Details sind im Heilpraktikergesetz geregelt. Nun stellt sich natürlich die Frage: Warum soll es also nicht möglich sein, Therapeutinnen und Therapeuten mit entsprechender Berufserfahrung zu befähigen, einen Direktzugang für GKV-Patient:innen zu ermöglichen? Rechtsweg zum Direktzugang Direktzugang bedeutet rechtlich gesehen Ausübung der Heilkunde durch Physiotherapeuten. Die Ausübung der Heilkunde ist im Heilpraktikergesetz so geregelt, dass in Deutschland nur Ärzte und Heilpraktiker die Heilkunde ausüben dürfen (§1 Abs.1). Also gibt es keinen Direktzugang für Physiotherapeuten, solange es das Heilpraktikergesetz in seiner aktuellen Form gilt. >Daran ändert sich auch nichts, wenn durch z.B. ein neues Berufsgesetz für Physiotherapeuten in der Ausbildung die notwendigen Fähigkeiten vermittelt und abgeprüft werden, um eigenverantwortlich Heilkunde im Bereich der Physiotherapie ausüben zu können. Dann gibt es zwar entsprechend qualifizierte Therapeuten, die aber trotzdem ohne eine (sektorale) Heilpraktikerprüfung nicht im Direktzugang arbeiten dürfen. Deshalb braucht es entweder eine Veränderung des Heilpraktikergesetzes, z.B. um eine Erweiterung der Berufe die Heilkunde ausüben dürfen. Oder es kommt das, was im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigt worden ist, ein allgemeines Heilberufegesetz. Ohne ein neues Heilberufegesetz oder ein reformiertes Heilpraktikergesetz wird es keinen Direktzugang für Physiotherapeuten geben, weder in Modellversuchen noch durch entsprechende Berufsgesetze. Grundgesetz sichert Bestandsschutz bzw. Übergangsregelungen Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Selbst wenn ein neues Berufsgesetz in der Physiotherapie kommt, steht eins fest: Ihr werdet auf keinen Fall schlechter gestellt! In der Rechtsprechung ist schon länger geklärt, dass der Gesetzgeber bei Veränderungen der Berufsbilder berücksichtigen muss, dass sich Personen in dem bisherigen rechtlichen Rahmen eine echte Lebensgrundlage aufgebaut haben. Das dürfte auf alle beruflich tätigen Physiotherapeut:innen und ihre Praxen zutreffen. Da die Lebensgrundlage der Physiotherpeut:innen auf den Berufsbildern basieren, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, muss er sich im Falle einer von ihm initiierten Veränderung dieser Berufsbilder, um Übergangsregelungen und Bestandsschutzregelungen kümmern. Das ist keine Option, sondern – dem Rechtsstaat Deutschland sei Dank – seine auch z. B. vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Verpflichtung. Das gilt ebenso für eine mögliche Veränderung des Heilpraktikerrechts. Wird der sektorale Heilpraktiker durch eine neues Heilberufegesetz „abgeschafft“ muss der Gesetzgeber sich um Bestandsschutz und Übergangsregelung kümmern. Es gibt aus der Vergangenheit Beispiele für genau solche Übergangsregelung. Als die Neufassung des Physiotherapeutengesetz kam, gab es Übergangsregelung. Es gab staatlich anerkannten Dentisten, die ohne Studium die Zahnheilkunde ausübten, ihnen wurde die Möglichkeit der Nachqualifikation zum Zahnarzt eröffnet. Auch bei der Neuschaffung der Psychotherapeutenberufe hat der Gesetzgeber einerseits Bestandsschutz für eine Tätigkeit in der Psychotherapie mit Erwachsenen geschaffen, andererseits gab es eine Übergangsregelung, die es ermöglichte in berufs- und sozialrechtlicher Hinsicht der Ärzteschaft gleichgestellt zu werden.* Fazit: Die Chancen für Verbesserungen sehen Also, Ihr seht: Jetzt Angst zu bekommen, dass Euch der Direktzugang eventuell verwehrt bleibt oder Ihr in Bezug auf die akademisierten Kolleg:innen schlechter gestellt werdet, ist gar nicht nötig. Wie genau die Voraussetzungen für einen Direktzugang in Zukunft aussehen werden, wissen wir aktuell nicht. Dafür gibt es gesetzliche Regelungen, die Euch vor einer Benachteiligung schützen. Seht das Berufsgesetz daher eher als Chance, etwas Neues zu gewinnen. Denn in dem Referentenentwurf ist der Begriff Direktzugang genannt, Voraussetzungen werden festgelegt und “eigenverantwortliches Handeln” soll ein Ziel sein. Das alles bedeutet, dass die Politik einen Direktzugang für Physiotherapeut:innen im Blick hat. Und das ist gut. Denn wir brauchen die Möglichkeit, dass Patient:innen direkt und ohne Umwege über Ärzte in Eure Praxis kommen können. * Quelle: Rechtsgutachten zum Heilpraktikerrecht, im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt von Prof. Dr. Christof Stock, 21. April 2021 https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/publikationen/details/rechtsgutachten-zum-heilpraktikerrecht