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Versorgung nicht neu gedacht

Vor ein paar Tagen hatte der SHV zum mittlerweile fünften TherapieGipfel nach Berlin eingeladen. Das diesjährige Motto „Versorgung neu denken“ versprach viel, doch der SHV-Vorsitzende Andreas Pfeiffer fasste das Problem der Veranstaltung zu Beginn der Pressekonferenz genau passend zusammen: „Versorgung neu denken“, das Motto sei gar nicht visionär gemeint. Das überrascht und enttäuscht gleichermaßen. Denn sollte nicht der TherapieGipfel genau die Veranstaltung sein, bei der man sich aus dem operativen Klein-Klein des Alltags löst, auf den Gipfel steigt und wirklich einmal in die Zukunft blickt? Wo sieht sich die Heilmittelbranche in zehn Jahren? Eine Antwort auf diese Frage blieben die Vertreter:innen von Verbänden wie auch Politik schuldig.
„Es steht außer Zweifel, dass es Veränderungen geben muss und auch geben wird“
© gremlin

Aber wie soll man sich Schritt für Schritt auf den Weg machen, wenn man das Ziel gar nicht kennt? Wenn es jetzt darum geht, die Berufsgesetze zu reformieren, müssen wir doch wissen, wie der Beruf in zehn Jahren aussehen soll. Schließlich sind die derzeitigen Berufsgesetze auch bereits zwanzig, dreißig Jahre alt. Die Verbände stecken offensichtlich zu tief im Tagesgeschäft, um sich mit der Zukunft zu befassen, aber auch die Politik zuckt mit den Schultern.

Er könne doch nicht die Zukunft lesen und wisse nicht, was in zehn Jahren ist, hatte der Vertreter aus dem Bundesgesundheitsministerium, Markus Algermissen, wenig Erhellendes beizutragen. Für welchen Zeitraum sind denn die neuen Berufsgesetze – die schließlich aus seinem Ministerium kommen – gedacht? Ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre? Und selbst dann müsste man sich schon Gedanken machen, wie die Digitalisierung die Struktur der Gesundheitsversorgung in Zukunft verändern wird. Wenn Patientinnen und Patienten durch die elektronische Patientenakte selbst darüber bestimmen können, wer Zugang zu ihren Röntgenbildern, Berichten und Untersuchungsergebnissen erhält, warum sollten sie dann nicht direkt zum Physiotherapeuten gehen, statt erst wochenlang auf einen Termin beim Orthopäden zu warten? Aber so weit denkt man im BMG scheinbar nicht, sonst wäre man ganz schnell vom Thema Direktzugang bei der Akademisierung und der Schlussfolgerung, dass nur eine Vollakademisierung die Branche zukunftsfest machen kann. Stattdessen will man zumindest in der Physiotherapie auf die Teilakademisierung setzen – und auch nicht als Notlösung, sondern weil man davon überzeugt sei, heißt es aus dem BMG.

Immerhin soll der Gesetzentwurf zur Reform der Berufsgesetze noch in diesem Jahr kommen. Diese Ankündigung kommt Euch bekannt vor? Genau, das hatte Karl Lauterbach auch beim TherapieGipfel im vergangenen Jahr bereits versprochen. Passiert ist nichts. Und eine Entschuldigung dafür blieb er in seiner Videobotschaft am Mittwoch auch schuldig. Die Reaktion der Anwesenden? Schweigen. Wäre so etwas auf dem Ärztetag passiert, hätte es empörte Pfiffe und Buh-Rufe gehagelt. Vielleicht stünden solche emotionalen Ausbrüche auch unserer Branche mal ganz gut und würden dafür sorgen, dass uns die Politik stärker wahrnimmt.

Einer der wenigen, der am Mittwoch tatsächlich mal Emotionen zeigte, war Andreas Pfeiffer – und bescherte mir damit mein Highlight der Woche. Nach der Akademisierung gefragt, platzte es aus ihm heraus, dass es ihm als Ergotherapeut bei internationalen Kongressen peinlich sei, aus dem einen Land zu kommen, in dem die Therapeuten noch nicht akademisiert sind.

Nun aber erstmal genug mit meinen Eindrücken vom TherapieGipfel. Einen ausführlicheren Bericht dazu, worüber gesprochen wurde und worüber gesprochen werden müsste, werdet Ihr auf jeden Fall in der Dezember-Ausgabe der up und in der kommenden Woche auch auf up-aktuell.de finden.

Ein ganz anderes Thema, das in einer Branche, in der viele zuletzt an sich selbst denken, ist die psychische Gesundheit. Ob durch besondere Belastungen im Beruf oder Privatleben, manchmal braucht die Psyche einfach Hilfe. Das zu erkennen ist aber nicht immer ganz einfach, weder für die Betroffenen selbst noch für das Umfeld. Wir haben in einem Artikel Infos und Tipps rund um das Thema Mentale Gesundheit für Euch zusammengestellt und unsere Kollegin und Physiotherapeutin Alexa berichtet von einem Erste Hilfe-Kurs für die Psyche, an dem sie teilgenommen hat, um sich als Ersthelferin für psychische Problemlagen ausbilden zu lassen.

Aus aktuellem Anlass: Beim upstammtisch kam in dieser Woche die Frage auf, ob die Entbudgetierung der kinderärztlichen Leistungen, die der Bundestag im März beschlossen hatte, Auswirkungen auf die Verordnung von Heilmitteln hat. Wir haben bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nachgefragt. Die Antwort: Nein, die Entbudgetierung gilt nur für die Leistungen der Pädiater.

Wenn Ihr eine Vorstellung davon habt, wie Zukunft der Therapieberufe in zehn Jahren aussehen soll oder Ihr Euch darüber austauschen möchtet, kommt am 20. Januar 2023 zum nächsten up-Netzwerktreffen nach Berlin. Neben 15 spannenden Workshops und Zeit zum Austausch steht diesmal auch als Vorprogramm am 19. ein Besuch im Bundestag oder bei der gematik auf dem Programm. Mehr dazu erfahrt Ihr auf www.up-aktuell.de/nt24.

Herzliche Grüße

Euer Ralf Buchner

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