„Ohne die ausländischen Fachkräfte hätte ich eine meiner Praxen nicht so einfach weiterführen können“

Die Suche nach geeigneten Mitarbeitern kann in Ergotherapie-, Logopädie-, Podologie- und Physiotherapie-Praxen dauern – Wochen, Monate oder gar Jahre. Ein Ende des Fachkräftemangels ist nicht in Sicht. Für Therapiepraxen könne Fachkräfte aus dem Ausland eine gute Lösung sein. Patric Neunemann hat selbst schon einige Mitarbeiter:innen aus dem Ausland in seine Praxen geholt und schließlich die Professional Transfer GmbH gegründet, die Praxisinhaber:innen ausländisches Personal vermittelt. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen. Patric, Fachkräftemangel in der Heilmittelbranche ist kein neues Thema. Du hast drei Praxen in Deutschland und irgendwann damit begonnen, ausländische Physiotherapeut:innen in diese Praxen zu holen. Wie bist Du darauf gekommen? Gestartet sind wir damit in der Praxis in Wuppertal. Dort haben wir sehr große Räumlichkeiten auf 650 Quadratmetern. Entsprechend hoch ist die Miete natürlich. Also brauchten wir auch genügend Physiotherapeut:innen. Und obwohl wir in Wuppertal eine gute Physiotherapie-Schule haben, gab es einfach nie genug Zulauf. Also haben wir den Blick einmal ins Ausland gerichtet und uns mit den Agenturen vernetzt, die ausländische Fachkräfte nach Deutschland vermitteln. Wenn wir über Kolleg:innen aus dem Ausland sprechen, denke ich an Physiotherapeut:innen aus den Niederlanden oder Frankreich. Aber woher kommen die Fachkräfte eigentlich? Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Türkei, aus Serbien, aus Tunesien usw. Das sind eher die Länder, aus denen wir Fachkräfte akquirieren. Bei der Mitarbeiterin aus Tunesien haben wir den ganzen Prozess selbst gemacht. Insgesamt hat es zwei Jahre gedauert, bis sie dann in unserer Praxis war. Was hast Du in diesen zwei Jahren erlebt? Wie müssen wir uns diesen Prozess vorstellen? Generell kann man sagen: Es ist spannend für das gesamte Team. Es gibt am Anfang oft eine Sprachbarriere, die neuen Kräfte haben vielleicht andere therapeutische Ansätze. Hinzu kommt, dass die Fachkraft mit einem Koffer und vielleicht 50 Euro im Gepäck anreist, keine Wohnung hat, nicht weiß, wie man Strom anmeldet, wie es mit der Krankenversicherung läuft. Die Mitarbeiter:innen brauchen ganz viel Unterstützung. Die Mitarbeiterin aus Tunesien hat sich über unsere Website in der Praxis beworben, und wir haben dann Kontakt zu ihr aufgenommen. Dann gab es ein Kennenlernen über Zoom. Wir haben ihr darüber auch unsere Praxis gezeigt und Arbeitsverträge auf diesem Wege ausgehandelt. Wir haben ihr dabei geholfen, alle Unterlagen zusammenzusuchen und einzureichen. Wir haben Kontakt zu den Behörden aufgenommen, damit sie ein Visum bekommt. Als das Visum nach sechs Monaten da war, kauften wir ihr ein Flugticket und sie kam zu uns nach Deutschland. Wichtig ist vor allem, dass die Mitarbeiter:innen sich um den Defizitbescheid kümmern. Was bedeutet ein Defizitbescheid? Jeder, der aus dem Ausland kommt und in unserem Gesundheitssystem arbeiten möchte, muss seine Ausbildung überprüfen lassen. Die potenziellen Fachkräfte schicken an die entsprechende Behörde des jeweiligen Bundeslandes die Ausbildungsunterlagen und dann werde diese dort bewertet. Es wird geschaut, ob die Ausbildung gleichwertig zu der deutschen ist und wenn nicht, müssen die Defizite noch einmal nachgeholt werden. Die Defizite werden auch klar benannt, sodass auch nur diese erworben werden müssen. Die neuen Therapeut:innen gehen dann noch einmal zur Schule, dürfen aber in dieser Zeit schon zulasten der GKV arbeiten. Eine weitere Option ist, eine Kenntnisprüfung zu machen, um sich den Weg über die Schule zu sparen. Das kann ich aber keinem empfehlen. Hier ist das Risiko einfach zu groß, dass es schiefgeht. Ihr seid also den Weg über die Physiotherapie-Schule gegangen? Wir haben für unsere Mitarbeiterin aus Tunesien eine Schule gesucht, in der sie die fehlenden Ausbildungsinhalte nachholen konnte. Insgesamt hat es in unserer Praxis dann noch mal ein Jahr gedauert, bis die deutsche Anerkennung zur Physiotherapeutin erfolgt ist. Und nun ist sie voll eingearbeitet, macht gerade Fortbildungen und arbeitet tatkräftig mit. Damals war es ein sehr langer Prozess. Es soll ja jetzt mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz einfacher werden. Wir hoffen es. Hier heißt es ja immer, dass im Ausland die Akademisierungsquote in der Physiotherapie höher sei als in Deutschland. Und trotzdem gibt es Defizitbescheide? Es kommt einfach auf das Land an. In vielen Ländern sind die Physiotherapeut:innen wirklich gut ausgebil- det und haben gute Weiterbildungen besucht, aber es fehlt die Vergleichbarkeit. Das ist ein Problem. Wir sehen ja in der Praxis, was die ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Patient:innen können. Vor allem sind sie wirklich extrem motiviert. Und das tut dem gesamten Team gut. Wir legen daher auch häufig Einspruch gegen den Defizitbescheid ein, und zwar mit Erfolg. In der Regel reduzieren sich die Defizite dann noch mal um 50 Prozent. Das lohnt sich also immer. Wie sieht es denn mit der Sprachbarriere aus? Mussten Eure Mitarbeiter:innen Sprachtests absolvieren? Also ausländische Fachkräfte können mit einem Sprachlevel B1 anfangen. Ich würde aber immer empfehlen, dass die Mitarbeiter:innen mindestens ein B2-Level haben, wenn sie mit Patientinnen und Patienten arbeiten. In den Praxen gibt es ja nicht nur Smalltalk, sondern wir müssen Therapieprozesse erklären, es gibt Fachbegriffe wie Heilmittelkatalog. Die meisten, die nach Deutschland kommen wollen, bereiten sich aber schon in ihrem Heimatland vor. Es gibt Onlinekurse und auch die Tests können online absolviert werden. Wenn wir mit ihnen das erste Mal sprechen, merken wir oft schon, dass Sprachkenntnisse vorhanden sind. Bei den ganzen Formalitäten und der Organisation müssen Praxisinhaber:innen ausländische Fachkräfte also eng begleiten. Wie sieht es denn mit der sozialen Komponente aus? Wie sind da Deine Erfahrungen? Es ist vergleichbar mit einem Austauschschüler, der in eine fremde Familie kommt. Die neuen Kolleg:innen brauchen Kontakte. In unserer Praxis in Wuppertal haben wir das Glück, dass sie so groß ist, dass die Mitarbeiter:innen sich sofort untereinander vernetzen. Im Moment versuchen wir auch, Praktikant:in- nen aus dem Ausland in unsere Praxis zu holen, um sich vorab noch besser kennenzulernen. Da geht es dann auch darum, die Stadt zu zeigen, mit den Kolleg:innen in Kontakt zu treten. Wenn ich das alles so höre, denke ich: Ich muss mich kümmern, es entstehen hohe Kosten usw. Was hat das für Auswirkungen auf das Gehalt der ausländischen Fachkräfte? Das ist natürlich die Entscheidung der Praxisinhaber:innen. Bei uns bekommen die ausländischen Fachkräfte das gleiche Gehalt wie alle anderen. Ja, das ist immer ein Investment, man darf aber nicht vergessen, dass die Menschen oft mit Nichts kommen und auf ein ordentliches Gehalt angewiesen sind. Wir zahlen zwischen 2.700 und 2.900 Euro brutto monatlich. Das ist vergleichbar mit Berufseinsteigern direkt nach der Schule. Unser Ziel ist es ja, die Leute zu integrieren und langfristig zu halten. Und ich muss auch ehrlich sagen: Ohne die ausländischen Fachkräfte hätte ich zum Beispiel den Standort Wuppertal nicht so einfach weiterführen können. Wir halten fest: Eine ausländische Fachkraft nach Deutschland zu holen, lohnt sich, ist aber ein enormer Aufwand. Du hast Dir daher Deine Erfahrungen zunutze gemacht und selbst eine Agentur gegründet, die diese ganzen Prozesse für Praxen übernimmt. Was machst Du da genau? Erst einmal schauen wir uns die Praxen an, die an uns herantreten. Es ist wichtig, dass wir die Praxis und Praxisinhaber kennenlernen, um für beide Seiten eine erfolgreiche Vermittlung hinzubekommen. Ich gebe dann auch mein Know-how weiter, damit die neuen Mitarbeiter:innen sich wohlfühlen können. Wir machen dann Videos von der Praxis und können so besser passende Personen finden – oft auch über Castings im Ausland. Wir waren so zum Beispiel in Belgrad und hatten mit 50 Leuten Bewerbungsgespräche. Wir schauen dann: Wie sind die Sprachkenntnisse? Wie ist der Ausbildungsstand? Haben sie den Defizitbescheid schon angestoßen? Liegen schon alle Unterlagen vor? Im Grunde kümmern wir uns um den gesamten Prozess bis zu dem Punkt, an dem die Therapeutin mit Visum in Deutschland ankommt und begleiten auch so lange, bis die deutsche Anerkennung vorliegt. Um die Integration ins Team muss sich dann die Praxis selbst kümmern. Was kostet mich als Praxisinhaber denn so eine Vermittlung bei Dir? Und wie lange dauert es, bis ich eine neue Mitarbeiterin habe? Praxisinhaber:innen müssen mit Kosten zwischen 9.000 bis 10.000 Euro rechnen. Bei uns zahlen Praxen über einen Zeitraum von etwa neun Monaten je 1.000 Euro ab, sobald die neue Fachkraft selbst Geld erwirtschaftet. In der Regel dauert der Prozess zwölf bis 24 Monate, bis eine neue Mitarbeiterin in der Praxis anfangen kann. Die Dauer hängt von vielen Faktoren ab: Gibt es einen Flughafen in der Nähe, von dem die Mitar- beiter:innen schnell und günstig nach Hause fliegen können? Ist der Standort generell attraktiv? Wir arbeiten mit Menschen, wir sind kein Onlineshop, bei dem sich Praxen einen neuen Mitarbeiter bestellen. Das darf man nicht vergessen. Am Ende soll es für beide Seiten passen und alle sollen mit der Vermittlung glücklich sein. Und wenn die ausländischen Fachkräfte sich in einer Praxis wohlfühlen, machen sie auch Werbung – die Chance auf weitere neue Mitarbeiter:innen ist dann groß. Hörtipp: Patric Neunemann im up-podcast Das gesamte Gespräch mit weiteren Ideen und Details findet Ihr im up-podcast „Global – Lokal: Ausländische Therapeuten ins Team holen“ unter: www.up-aktuell.de/podcast-ausland