„Ich möchte, dass Dr. Franke aus dem Termin Punkte mit nach Berlin nimmt, um dort weiter auf unsere Probleme aufmerksam zu machen.“

Nachdem der Bundestagsabgeordnete aus Patientensicht erfahren hat, welche Auswirkungen die Probleme der Heilmittelbranche auch auf die Versorgung haben, werden die Patienten verabschiedet. Gemeinsam gehen Dr. Edgar Franke und Tim Ulzheimer zurück auf den Hof der Praxis Therapie Ulzheimer. In einer größeren Gesprächsrunde sollen nun die angesprochenen Themen noch einmal genauer erörtert und diskutiert werden. Bei schönstem Sommerwetter setzen sich der Bundestagsabgeordnete und der Praxisinhaber zu Olav Gerlach und Wim Alexander Wehner, dem Bezirksvorsitzenden vom Verband für Physiotherapie (VPT) in Nord-Ost-Hessen in den Hof. Hier lässt sich coronakonform mit dem nötigen Abstand zueinander diskutieren. „Mir ist wichtig, dass wir hier alle Kontakte knüpfen, dass wir dranbleiben und die neuen Kontakte auch für Zukunftsprojekte nutzen“, sagt Tim Ulzheimer zu Beginn des Gesprächs. Er äußert einen Wunsch in Richtung Politik: „Heilmittelerbringer brauchen Freiheit und Selbstbestimmung. Wir brauchen ein anderes Standing, mehr Möglichkeiten – neben einem höheren Honorar natürlich.“ Olav Gerlach nickt und richtet das Wort direkt an Dr. Franke. Er fragt ihn, welche Möglichkeiten er als Bundestagsabgeordneter hat, um Verbesserungen für die Heilmittelbranche herbeizuführen. Gerade er, der täglich zehn bis zwölf Stunden am Schreibtisch säße, antwortet Franke, sei schon häufig auf die Hilfe von Physiotherapeuten angewiesen gewesen. „Ich weiß, wie wichtig Ihre Arbeit ist – das wurde auch in der Pandemie noch einmal deutlich. 2019 fand schon eine Erhöhung der Honorare statt. Wichtiger ist aber, dass wir die Kompetenzen der Heilmittelerbringer in einem noch stärkeren Maße berücksichtigen.“ Und weiter: „Wichtig ist, dass ihr auf Augenhöhe mit den Ärzten kommuniziert. Aber nicht nur das, vielmehr könnt ihr häufig besser einschätzen, wenn ihr mit einem Menschen arbeitet, was er benötigt.“ So die Theorie. In der Praxis sieht es heute leider noch anders aus. Ulzheimer führt aus, dass Heilmittelerbringer im Jahr 2022 einen hohen Wissensstand haben und trotzdem noch behandelt werden, wie die ersten Heilgymnastinnen im Jahr 1901. Schon damals war es so, dass Ärzte vorgegeben haben, was gemacht werden sollte. Daran habe sich bis heute kaum etwas verändert. „Meine Mitarbeiter sind über die Jahre müde geworden. Sie wollen nicht mehr im 20-Minuten-Takt arbeiten. Sie wollen freier sein“, erklärt Ulzheimer. Er ergänzt, dass es selbst als erfahrener Therapeut extrem schwer sei, Anamnese, Befundung, Therapie und am Ende ja auch noch eine Evaluation des Behandlungserfolgs so durchzuführen, dass dies alles in der 20-Minunten-Taktung stattfindet. Dazu kommt, dass Ärzte häufig nur ein Heilmittel wie Manuelle Therapie verordnen, während der Therapie aber vielleicht mal stabilisierende Übungen notwendig sind. Therapeuten bräuchten daher dringend Eigenverantwortung bei den Behandlungen. „Ja, das ist richtig. Hier herrscht im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA oder auch den nordeuropäischen Ländern eine starke Arztzentrierung. Dort wird die Ausbildung auch ganz anders bewertet“, erklärt Dr. Franke. Er nimmt darauf Bezug, dass in der letzten Legislaturperiode das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) auf den Weg gebracht wurde. Dr. Franke erläutert weiter, dass es sicherlich vernünftig sei, dass die Kompetenz der Heilmittelerbringer dazu führen muss, den Entscheidungsspielraum zu erweitern. „Daher ist auch die Änderung der Berufsordnung so wichtig, damit die Zusammenarbeit auf Augenhöhe auch noch in einem stärkeren Maße gewährleistet wird. Da sind wir bereits dran und das wird vielleicht sogar schon im Herbst in die Diskussion gehen“, stellt Dr. Franke in Aussicht. „Die Kommunikation zwischen Ärzten und Heilmittelerbringern hat sich im Laufe der Jahre ja schon gebessert. Vor 20 Jahren sah das noch anders aus.“ Dem stimmen auch Gerlach, Ulzheimer und Wehner zu. Daher sei auch die Idee zur Blankoverordnung entstanden, erklärt der Bundestagsabgeordnete weiter. Er weist außerdem auf die Idee der integrierten Versorgung hin, die weg will von der strikten Ärztefixierung, hin zu einer gemeinsamen Arbeit verschiedener Berufsgruppen. „Das Beispiel des Patienten Sieche zeigt doch auch mal wieder, dass wenn Therapeuten und Fachärzte und dann sogar noch Krankenhäuser schnell zusammenarbeiten, daraus eine optimale Versorgung der Patienten entstehen kann. Das ist wirklich vorbildlich.“ Gerlach nickt und fügt hinzu: „Das ist jedoch leider nicht die Regel, dass es so perfekt läuft.“ Er spricht Dr. Franke wieder direkt an und lenkt das Thema auf den Direktzugang. Mithilfe des Direktzugangs hätten Therapeuten ja die Möglichkeit der Arbeit auf Augenhöhe. Ulzheimer reagiert ein wenig skeptisch – das Thema Direktzugang ist auch unter Therapeuten umstritten. Gerlach möchte von Dr. Franke wissen, wie der Direktzugang weiter vorangetrieben werden soll. Der Bundestagsabgeordnete weist darauf hin, dass im Bundesgesundheitsministerium natürlich das Thema Corona-Pandemie vorherrschend sei. Neben der Pandemie würde aber auch der Ukraine-Konflikt dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen alles andere als ideal seien. „Aber, die politische Agenda ist ganz klar: Auch das, was im Koalitionsvertrag steht, gilt weiterhin. Wir wollen und werden das auch umsetzen, weil es ein moderner Weg ist, den wir einschlagen wollen“, erklärt der Bundestagsabgeordnete. Im Zuge dessen soll auch eine Teilakademisierung angegangen werden – keine Vollakademisierung, da die Hemmschwelle für viele junge Menschen sonst einfach zu groß wäre, einen Beruf in der Heilmittelbranche zu ergreifen. Die Runde nickt zustimmend. Ein weiterer Punkt, der junge Menschen davon abhält, Heilmittelerbringer zu werden, sei das Schulgeld. Das gehöre dringend in allen Bundesländern abgeschafft, meint Dr. Franke. Es sei ja auch verständlich, dass sich junge Menschen nach der Schule einen Beruf suchen, in dem sie Geld verdienen und nicht noch zahlen müssten. Da könne man nur an die Länder appellieren, das dringend zu ändern. „Das Thema Augenhöhe möchte ich an dieser Stelle noch einmal aufgreifen“, sagt Olav Gerlach. „Wir als Therapeuten brauchen im G-BA einen vollwertigen Sitz.“ "Wir haben vorhin mit dem Patienten gesprochen, der nach einem Schlaganfall laut Heilmittelkatalog keinen Anspruch auf KG-Gerät hätte, obwohl es ihm hilft. Weltweit sprechen sich Leitlinien dafür aus, das Gerätetraining bei neurologischen Erkrankungen anzuwenden. In Deutschland gibt es den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der legt fest, welche Leistungen Heilmittelerbringer zu Lasten der GKV erbringen dürfen“, sagt Gerlach und fügt hinzu, dass es Therapeuten leider nicht immer möglich sei, leitliniengerecht zu arbeiten, weil bestimmte Leistungen nicht mit der GKV abgerechnet werden könnten. „Das Problem daran ist, dass wir als Heilmittelerbringer kein Mitspracherecht im G-BA haben und uns somit auch nicht für eine leitliniengerechte Versorgung unserer Patienten einsetzen können.“ Das müsse sich dringend ändern. Der Gemeinsame Bundesausschuss sei ja im Grunde wie ein kleiner Gesetzgeber, sagt der Bundestagsabgeordnete. „Wir haben uns in Deutschland dafür entschieden, dass nicht die Politik über den Leistungskatalog der GKV entscheidet, sondern Experten aus den jeweiligen Bereichen.“ Olav Gerlach fügt hinzu: „Ja, das ist auch sehr gut, aber es fehlen Berufsgruppen.“ Dr. Franke führt weiter aus, dass man dabei jedoch natürlich schauen muss, dass alle Interessen berücksichtigt werden. Das sei auch der Grund, weshalb im Koalitionsvertrag mit aufgenommen wurde, dass die Kenntnisse der anderen Gesundheitsberufe ihren Platz finden müssen. „Ich möchte, dass heute klar wird: Die Heilmittelerbringer wollen nicht primär immer nur mehr Geld. Sie wollen Eigenverantwortung, Mitbestimmung und selbstständiges Arbeiten“, sagt Ulzheimer. Gerlach schüttelt ein wenig den Kopf und weist darauf hin, dass die Honorierung schon so sein sollte, dass ein wirtschaftlicher Betrieb in den Praxen möglich sei. Das TSVG sehe eine flächendeckende Bezahlung auf dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) vor. Davon seien die meisten Praxen in Deutschland jedoch noch weit entfernt, gibt er zu Bedenken. Dr. Franke entgegnet: „Ich stimme Ihnen zu, muss aber auch gestehen, dass wir im Moment finanziell keine großen Spielräume haben. Aufgrund der Krisen werden jetzt nicht alle Reformen sofort umgesetzt werden können.“ Die Gesprächspartner sind sich einig darüber, dass sich noch einiges tun muss. „Ich komme dann zu Ihnen nach Kellenhusen, Herr Gerlach, und wir schauen gemeinsam, wie sich die Situation entwickelt hat“, sagt Dr. Franke lachend. „Da bin ich sofort dabei“, erwidert Gerlach. In der up-Mediathek finden Sie die gesamte Reportage als Video: Auf Tuchfühlung mit der Politik – Die komplette Reportage Diese Artikel gehören zur Reportage "Auf Tuchfühlung mit der Politik": Reportage: Auf Tuchfühlung mit der Politik - Physiotherapeut empfängt Bundestagsabgeordneten Anleitung zum Einmischen wirkt: Dr. Edgar Franke erhält Einblicke in die Praxis „Integrierte Versorgung ist das Zukunftskonzept“ - Gespräch mit Schlaganfall-Patient Jörg Sieche „Wir haben immer mehr ältere Patienten und immer weniger junge Menschen, die sie behandeln können“ - Gespräch mit Rheuma-Patientin Ingrid Kahlert „Mit solchen Terminen können wir uns Gehör bei der Politik verschaffen“ - Tim Ulzheimer zieht eine Bilanz des Treffens mit Dr. Edgar Franke