TherapieGipfel 2023: Eher kein Blick in die Zukunft

„Versorgung neu denken“ unter diesem Motto stand der 5. TherapieGipfel, zu dem der SHV Mitte November nach Berlin eingeladen hatte. Dieses Motto der „wichtigsten Veranstaltung der Heilmittelbranche“ weckte Erwartungen, die sich dann leider nicht erfüllten. Denn statt Visionen und Pläne für die Zukunft vorzustellen, fiel es allen Beteiligten schwer, sich aus dem operativen Tagesgeschäft zu lösen. So fühlte sich die Veranstaltung ein bisschen wie die Fortführung der Vertragsverhandlungen zwischen Heilmittelverbänden und GKV an. Ein Blick in die Zukunft, eine Antwort auf die Frage, wo denn die Branche in zehn Jahren stehen soll, blieben der SHV wie auch die Politik überwiegend schuldig. „Versorgung neu denken“, das Motto sei gar nicht visionär gemeint, setzte Andreas Pfeiffer, Vorsitzender des SHV, gleich zu Beginn der Pressekonferenz den – leider – passenden Rah- men. Denn offensichtlich sind sowohl die Verbände als auch die Politik so sehr damit beschäf- tigt, das operative Tagesgeschäft zu verwalten, dass es selbst auf dem TherapieGipfel einfach nicht gelingen will, in die Zukunft zu schauen. Da half auch das knappe Videostatement von Karl Lauterbauch zur Begrüßung nicht weiter. Reform ohne Vision Wer heute Berufsgesetze reformieren will, muss eine Vorstellung davon haben, wie diese Berufe in zehn Jahren aussehen sollen. Denn wie soll man eine grundlegende Berufsreform umsetzen, wenn man gar keine Vorstellung von der Zukunft dieser Berufe hat? Es geht hier schließlich nicht um eine Reform nur für die nächsten ein, zwei oder fünf Jahre, sondern um die nächsten 20 oder 30 Jahre. So lange sind die aktuellen Berufsgesetze immerhin schon gültig. Verwalten statt gestalten Blickt man in Richtung Politik, erhält man dort nur ein Schulterzucken. Er könne doch nicht die Zukunft lesen und wisse nicht, was in zehn Jahren sei, outete sich Markus Algermissen, Abteilungsleiter im und Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf dem Podium der Veranstaltung als klassischer Verwalter der Berufsrechtereform. Dabei ist es eigentlich seine Abteilung im BMG, die Veränderungen auf den Weg bringen, also die Zukunft der Heilmittelberufe wenigstens mitgestalten muss, angefangen von der Reform der Berufsgesetze bis hin zum Direktzugang. Verbände sind sich uneinig Wenig hilfreich für die Politik ist der Blick in Richtung SHV oder zu den einzelnen Verbänden, die im SHV organisiert sind. Die Physiotherapie-Verbände sind sich herzlich uneinig in ihrer Zukunftsvision und streiten vergleichsweise offen über die Notwendigkeit, die Ausbildung akademisch zu verankern. Den Gegenentwurf dazu liefern die Logopädie-Verbände, die geschlossen für die Vollakademisierung eintreten und dafür auf dem TherapieGipfel eine Zusage von Bundesgesundheitsminister Lauterbach erhalten haben. Der Dissens der Ergotherapie-Verbände wurde auf dem TherapieGipfel nicht sichtbar, einfach weil mit dem DVE nur ein Ergotherapie-Verband Mitglied im SHV ist. Alles nicht hilfreich, wenn es darum geht, geschlossen Lobbyarbeit für eine zielführende Reform der Heilmittelberufe voranzutreiben. Plädoyer für Akademisierung Einen inhaltlichen Akzent setzte Andreas Pfeiffer mit einem sehr engagierten Beitrag zum Thema Akademisierung. Ihm sei es als Ergotherapeut auf internationalen Kongressen unangenehm, aus dem einen Land zu kommen, in dem die Therapeutinnen und Therapeuten noch nicht akademisiert sind. Ohne die Vollakademisierung falle Deutschland im internationalen Vergleich immer weiter zurück. Das habe innerhalb Europas auch Auswirkungen auf die Attraktivität des Arbeitsmarktes. Follow the money Warum gibt es eigentlich in einigen Bereichen großen Streit um das Thema Akademisierung und in anderen Bereichen nicht? Bei der Suche nach einer plausiblen Antwort auf dem TherapieGipfel landet man fast zwangsläufig beim Thema Geld. Akademisierung oder nicht ist immer auch eine Frage nach der Finanzierung. Sehr schön zu beobachten bei den einführenden Worten von Dr. Oliver Grundei, Staatssekretär im Ministerium für Justiz und Gesundheit in Schleswig-Holstein. Grundei hat als Rektor der Uni Lübeck daran mitgewirkt, die grundständige akademische Ausbildung für Physio-, Ergotherapie und Logopädie an der Uniklinik S-H zu etablieren. Jetzt als Staatssekretär eines Bundeslandes, das die Kosten für die neuen Studiengänge tragen müsste, findet er die Teilakademisierung bei den Physiotherapeuten genau richtig. Ums Geldverdienen geht es auch den Verbänden, die den privaten Fachschulbetreibern nahestehen oder gar eigene Fortbildungseinrichtungen betreiben. Eine Vollakademisierung würde ein Geschäftsmodell infrage stellen, das aktuell durch Schulgeld der Länder und dem Fortbildungswillen der Therapeut:innen gespeist wird, die sich nicht genug ausgebildet fühlen. Um Geld geht es auch bei der Überlegung, ob man zukünftig akademische Heilmittelerbringer:innen im Rahmen der GKV überhaupt entsprechend bezahlen könnte. Auf dem TherapieGipfel entspannen sich interessante Wortbeiträge zur Henne-Ei-Problematik, also dazu, ob man erst akademisiert oder zuerst sicherstellt, dass akademische Therapeutinnen und Therapeuten anständig bezahlt werden. Und warum gibt es bei den Logopäd:innen keine Gegen- wehr zum Thema Akademisierung? Erstens gibt es schon einen viel größeren Anteil an akademisch ausgebildeten Therapeut:innen. Man hat also Erfahrung mit der angemessenen Bezahlung etc. Zweitens ist die Lobby der Fachschulbetreiber viel kleiner und wissenschaftsaffiner und drittens ist die Berufsgruppe so klein, dass die Länder vermutlich keine großen finanziellen Lasten auf sich zukommen sehen. Das sieht bei der Physiotherapie natürlich ganz anders aus. Mehr Zustimmung für die Vollakademisierung Mehrere Beiträge nahmen die Vorlage Pfeiffers auf und warnten z. B. vor einer möglichen Zwei-Klassen-Physiotherapie. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr waren die Befürworter der Vollakademisierung im Publikum diesmal stärker vertreten, der von Algermissen gezogene Vergleich mit den Pflegeberufen wurde von Ute Repschläger (IFK) zurückgewiesen. Evidenz sei bei einer Teilakademisierung nicht gewährleistet, die angemessene Versorgung von Kindern in Deutschland aufgrund fehlender Akademisierung der Physiotherapeut:innen nicht möglich. Die Liste der Kritik an der Teilakademisierung war so lang, dass Algermissen das Wort „Teilakademisierung“ gar nicht mehr aussprechen wollte. Ansonsten verlief die Podiumsdiskussion eher harmlos und war von operativen Befindlichkeiten geprägt. Man könne nicht über die Akademisierung reden, wenn die Vergütung nicht vorher geklärt sei, so ein Einwand aus dem Publikum. Es ging um die Frage der Praktikumsbetreuung in ambulanten Praxen. Die einen forderten Bezahlung für diese Betreuung, die anderen nutzen Praktikanten als kostenlose Arbeitskraft zur Abarbeitung der GKV-Verordnungen. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Berufsgruppen ist fast immer spürbar. Ärztevertreterin findet Direktzugang „unproblematisch“ Algermissen kündigte für das kommende Jahr an, dass im Rahmen des Versorgungsgesetzes II auch Modellprojekte zum Direktzugang für Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie auf den Weg gebracht werden. Aus Ärztesicht sei der geplante Direktzugang für Heilmittelerbringer:innen „unproblematisch“, lies Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer wissen. Natürlich hätten die Kolleginnen und Kollegen unterschiedliche Vorstellungen über Fragen der Delegation und Substitution. Sie allerdings sei im Osten Deutschlands geboren und habe mit Therapeut:innen auf Augenhöhe gearbeitet, schon lan- ge vor der Wiedervereinigung. Das sei überhaupt kein Problem gewesen. Jedoch müsse es klare Regeln zur Qualitätssicherung, zu Kompetenz- und Haftungsfragen sowie zur Budgetverantwortung geben. Aber wer jetzt gedacht hatte, der Direktzugang komme bald und richtig gut, der wurde von Algermissen gleich in die Realität zurückgeholt. Ein „kleiner, feiner“ Direktzugang als Modell sei geplant. Hoffentlich hält Algermissen seine Ankündigungen besser ein als sein Chef Lauterbach (siehe Kasten). TherapieGipfel als Treffpunkt etabliert Zum TherapiegGipfel sind in diesem Jahr mehr Vertreter der Krankenkassen und der Politik gekommen als in den Vorjahren. Mehrere Bundestagsabgeordnete waren mit dabei, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Ärztekammer, GKV-Spitzenverband und Vertreter von vielen verschiedenen Kassenarten. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich alle Beteiligten bei den lang andauernden Verhandlungen über die Versorgungsverträge immer besser kennengelernt haben. Insofern hat der SHV sein Ziel erreicht, hier den „gesundheitspolitischen Höhepunkt der Heilmittelbranche“ zu organisieren. Das Datum für das kom- mende Jahr steht schon fest: Mittwoch, der 13. November 2024. Lauterbauch: Keine Entschuldigung und kein Protest Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war in diesem Jahr nicht persönlich zum TherapieGipfel erschienen, grüßte die Anwesenden jedoch per Videobotschaft. Aber kein Wort der Entschuldigung! Vor genau einem Jahr hatte er die ersten Entwürfe zur Reform der Berufsgesetze „innerhalb weniger Wochen“ angekündigt. Stand heute gibt es sie immer noch nicht. Kein Wort dazu, dass er sein Versprechen von vor zwölf Monaten nicht eingehalten hat. Wenigstens eine nachvollziehbare Erklärung für dieses Versäumnis wäre fällig gewesen. Doch stattdessen wärmte er sein Versprechen vom Vorjahr wieder auf. Man stelle sich so etwas auf dem Ärztetag vor: Die Ärztinnen und Ärzte hätten ihn ausgebuht und ausgepfiffen. Das wäre ein deutliches Zeichen Richtung Politik gewesen. Die Zukunft war auf dem TherapieGipfel kein Thema Wie sieht die Versorgung von (GKV-)Patienten und Patientinnen in Zukunft eigentlich aus? Ohne eine Antwort auf diese Frage, kann man die Berufe der Heilmittelerbringer nicht seriös reformieren. Erst wenn man eine Idee davon hat, wie die Versorgung in einigen Jahrzehnten aussieht, kann man sich überlegen: Wie müssen wir heute eine Berufsreform gestalten, damit Heilmittelerbringer:innen in zehn oder 20 Jahren die dann notwendige Verantwortung übernehmen können? Zwei Beispiele für zukünftige Szenarien, die so oder anders die Gesundheitslandschaft nachhaltig verändern werden: Der demografische Wandel, also die zunehmend älter werdende Bevölkerung in Deutschland, wird zwei deutliche Effekte auf das Gesundheitssystem haben. Zum einen wird es in ein paar Jahren weniger in der ambulanten Versorgung verfügbare Ärztinnen und Ärzte geben, die Heilmitteltherapie verordnen können. Zum anderen wird die Zahl der Patient:innen, die Heilmitteltherapie benötigen deutlich zunehmen. Ein mögliches Zukunftsszenario zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung wäre also, alle Heilmittelerbringer in Deutschland flächendeckend als Primärkontakt für Patienten einzusetzen. Bezogen auf die anstehenden Berufsreformen wäre also die Frage: Wie müssen wir heute reformieren, um in zehn Jahren flächendeckend Heilmitte- lerbringer:innen zu haben, die als Primärkontakt für Patien- tinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung wird die Gesundheitsversorgung nachhaltig verändern. Während heute das System stark auf die ambulante Versorgung durch Ärztinnen und Ärzte ausgerichtet ist, wird es in zehn Jahren der Standard sein, dass Patient:innen über eine elektronische Patientenakte selbst Zugriff auf all ihre Daten haben. Die aktuelle Arztzentrierung des Gesundheitssystems wird sich damit verändern, die Patienten werden aufgrund guter Informationen in der Lage sein, selbst zu entscheiden, wer ihnen am besten helfen kann, ihre jeweilige Lebensqualitätseinschränkung zu lindern. Das könnte eine Chance für Heilmittelerbringerinnen und -erbringer sein, wenn denn die anstehenden Reformen der Berufsgesetze die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, als Primäranbieter von Gesundheitsleistungen am Gesundheitsmarkt auftreten zu können. Dann auf jeden Fall auch als partielles Konkurrenzangebot zu zu vielen Operationen und Medikamenten. Hinweis: Wenn Ihr selbst über Eure Zukunft diskutieren möchtet, kommt am 20. Januar 2024 zum up-Netzwerktreffen nach Berlin. Dort geht es darum, Weichen für Eure Zukunft zu stellen, um Telematikinfrastruktur und Digitalisierung sowie um Lösungen gegen den Therapeutenmangel. Anmelden könnt Ihr Euch hier. Und wer selbst einmal mit der Politik diskutieren möchte, kann sich für das Vorprogramm anmelden und am 19. Januar mit in den Bundestag kommen.