Sinn und Zweck eines Berufsgesetzes

Niemand darf sich einfach „Physiotherapeut“ an die Tür schreiben und anfangen, Patienten zu behandeln. Der Grund: Physiotherapeut:in ist ein geregelter Beruf. Es gibt feste Vorgaben zur Ausbildung und den Qualifikationen, die jemand erfüllen muss, um diese Berufsbezeichnung zu führen. Welche das sind, regelt u. a. das Berufsgesetz. Die derzeitige Fassung stammt noch aus den 1990er Jahren. Seitdem hat sich in der Medizin und im Gesundheitswesen viel verändert. Es ist also höchste Zeit für eine Reform. Der entsprechende Referentenentwurf des Physiotherapeutengesetz (PhyThG) aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) liegt nun vor und sorgt für mächtig Wirbel. Aber erfüllt er auch die Anforderungen an ein Berufsgesetz? Ein kleiner Punkt, bei dem man direkt sagen kann, dass das nicht in ein Berufsgesetz gehört, sind die Zertifikatspositionen. Dabei handelt es sich um Abrechnungspositionen, die zwischen GKV und den Heilmittelverbänden verhandelt werden. In einem Berufsgesetz, dass die Zukunft für die nächsten Jahre und Jahrzehnte gestalten soll, hat das Thema nichts verloren. Es zeigt aber gut, warum der Referentenentwurf für so viel Verwirrung und Verunsicherung sorgt. Hier werden ganz viele Punkte angeschnitten, aber wenige wirklich nachvollziehbar geregelt. Mehr dazu findet Ihr hier. Berufsgesetz schützt Berufsbezeichnung Eine zentrale Anforderung, die ein Berufsgesetz erfüllen muss, ist der Schutz der Berufsbezeichnung, also der „Marke“ des Berufs. Wer sich Physiotherapeut:in nennt, muss auch über die entsprechende Qualifikation verfügen. Darauf müssen sich insbesondere Patientinnen und Patienten verlassen können. Wie wichtig eine geschützte Berufsbezeichnung ist, sieht man, wenn man einen Blick auf die Osteopathie wirft. „Osteopath“ ist kein geschützter Begriff, entsprechend schwierig ist es für Patient:innen einzuschätzen, wie qualifiziert die entsprechenden Behandler:innen sind. Zwar dürfen nur Ärzt:innen und Heilpraktiker:innen als Osteopathen arbeiten, eine einheitliche Ausbildung gibt es jedoch nicht. Mit diesem Zustand sind auch die Osteopath:innen selbst unzufrieden und wünschen sich eine einheitliche Regelung für ihren Beruf, sodass auch für die Patient:innen klar und verlässlich geregelt ist, was sich hinter dieser Berufsbezeichnung verbirgt. Für die Physiotherapie schlägt der Referentenent- wurf jedoch eher den gegenteiligen Weg ein. Zweiteilung des Berufs wirkt Patientenschutz entgegen Die Aufteilung des Berufs in zwei „Arten“ von Physiotherapeut:innen mit unterschiedlichen Kompetenzen, die der Referentenentwurf vorsieht, wirkt dem Zweck der geschützten Berufsbezeichnung entgegen. Wenn heute ein Patient in die Praxis kommt, weiß er, dass die Physiotherapeutin, die ihn dort behandelt, über die erforderliche Ausbildung, das Wissen und die Fähigkeiten dafür verfügt. Wird der Referentenentwurf so wie er ist, verabschiedet, wird das in Zukunft anders aussehen. Denn dann gibt es zwei Berufsbezeichnungen: „Physiotherapeut:in“ und „Physiotherapeut:in B. Sc.“. Beide haben unterschiedliche Ausbildungen, die auch unterschiedliche Qualifikationen mit sich bringen. Ja, die Berufsbezeichnungen unterscheiden sich durch drei Buchstaben am Ende oder das Fehlen dieser. Im Alltag wird es für Patientinnen und Patienten aber schwer sein, diesen Unterschied zu erkennen. „Physiotherapeut:innen“ absolvieren eine berufsfachschulische Ausbildung, die dazu befähigt, „mindestens dieselben Aufgaben in der Versorgung abdecken kann wie die bisherigen Berufe in der Physiotherapie“, heißt es im Referentenentwurf. „Physiotherapeut:innen B. Sc.“ hingegen erhalten eine hochschulische Ausbildung in Form eines dualen Studiums, das „darüberhinausgehende Kompetenzen umfasst und als zentrales Element insbesondere zur eigenverantwortlichen Durchführung heilkundlicher Maßnahmen auf dem Gebiet der Physiotherapie führt“. Im folgenden Satz kommt dann auch zum ersten und einzigen Mal der Begriff „Direktzugang“ vor. Denn es heißt weiter: „Dies kann perspektivisch auch eine Heilmittelversorgung in der Physiotherapie im Direktzugang und Weiterentwicklungen im akademischen Bereich, insbesondere der Entwicklung weiterführender Masterstudiengänge, ermöglichen.“ Berufsgesetz regelt nicht den Direktzugang Vom Direktzugang ist also nur in der vorangestellten Übersicht die Rede. Der Gesetzestext selbst enthält diesen Begriff nicht. Das ist kein Zufall, denn das Berufsgesetz ist gar nicht der passende Ort, um einen Direktzugang zu regeln. Wer mit „Direktzugang“, „Direct Access“ oder im „First Contact“ arbeiten darf, muss ein allgemeines Heilberufsgesetz regeln – auf das wir ebenfalls dringend warten. Aktuell ist der Direktzugang Ärzt:innen und Heilpraktiker:innen vorbehalten. Physiotherapeut:innen können nur als sektorale Heilpraktiker Physiotherapie Patienten ohne ärztliche Verordnung behandeln – und auch nur Privatpatienten. Beruf weiterhin nicht international kompatibel Durch die im Referentenentwurf vorgesehene Teilakademisierung sollen zehn bis 20 Prozent der Berufsgruppe akademisiert werden. Das heißt im Umkehrschluss 80 bis 90 Prozent werden es nicht sein. Das Gleiche gilt für den Direktzugang, wenn dieser an die Akademisierung gebunden sein sollte. Damit bleibt Deutschland weiterhin im internationalen Vergleich inkompatibel. In anderen Ländern wie den Niederlanden, Schweden, Großbritannien und Australien sind Akademisierung und Direktzugang in der Physiotherapie längst Standard. Der Referentenentwurf verwaltet die Gegenwart und ist we- nig zukunftsweisend. Doch noch ist es nur der erste Entwurf. Änderungen und Anpassungen sind weiterhin möglich und dafür kann sich jede einzelne Therapeutin und jeder einzelne Therapeut einsetzen. Diskutiert den Entwurf mit Euren Verbänden und gebt Rückmeldung an die Politik. Schreibt Eurem Wahlkreisabgeordneten, nehmt Kontakt zum BMG auf, meldet Euch beim Gesundheitsausschuss des Bundestags.