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Gesucht: ein faires System zur Wirtschaftlichkeitsprüfung

Blanko-VO in der Heilmittelbranche neu denken
Der GKV-Spitzenverband und die Ergotherapieverbände DVE und BED haben letzte Woche bekannt gegeben, dass sie sich auf die "Big Points" zur Blankoverordnung geeinigt haben. Das Thema Wirtschaftlichkeitsverantwortung hat viele Facetten und es ist gut, darüber zu diskutieren. Eine Leistungskürzung bei einer „roten“ Ampel ist jedoch ungerecht. Wir brauchen andere Wege, um die Sorgen der Krankenkassen ernst zu nehmen und trotzdem ein faires System für die Heilmittelpraxen zu etablieren.
Er ist dann mal weg
© Fourleaflover

Blanko-VO einführen, beobachten und Daten evaluieren

Es gibt keine gesetzliche Vorgabe, die die GKV und die Heilmittelverbände dazu zwingt, ein Ampelsystem mit finanzieller Bestrafung zu vereinbaren. Ganz im Gegenteil lässt das Gesetz nicht nur Raum für wissenschaftliche Evaluation und Intervention, sondern fordert das ausdrücklich ein. Im SGB V §125a steht…

  • in Absatz 2, Ziffer 6, man „könne auch Vergütungsabschläge vorsehen“, eine Vorgabe für solche Maßnahmen gibt es aber definitiv nicht.
  • unter derselben Ziffer, dass „Maßnahmen zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Mengenausweitung“ vereinbart werden sollen. Kein Wort einer Ampellösung. Stattdessen könnte eine solche Maßnahme auch sein, zeitnahe Daten über die Mengen der Blankoverordnungen zu Verfügung zu stellen. Wenn sich aus diesen Daten dann eine Mengenausweitung ergeben würde, könnte man die Ursachen analysieren und dort mit sinnvollen Maßnahmen ansetzen. Und dieser Vorschlag steht sogar im Gesetz.
  • Denn in § 125a, Abs. 6 wird festgelegt, dass es nach Vertragsabschluss über die Blankoverordnung einen Zwischenbericht an das BMG nach zwei Jahren und einen Abschlussbericht nach vier Jahren geben muss.

Wenn der Gesetzgeber einen Spielraum für die Datenerhebung und Evaluation lässt, warum nutzen wir ihn nicht?

Konkreter Vorschlag: Die Blanko-VO wird eingeführt und der GKV-Spitzenverband und die Verbände werten nach einem vereinbarten Zeitraum – zum Beispiel den zwei Jahren bis zum Zwischenbericht – die erhobenen Daten zu Verordnungs- und Behandlungsmengen aus. Gleichzeitig wird das Ampelsystem als Instrument für den Fall eingeplant, in dem es tatsächlich zu erheblichen Mengenausweitungen über einen festgelegten Zeitraum kommen sollte. So kann eine Mengenausweitung rechtzeitig eingebremst werden. In der Zwischenzeit können GKV-Spitzenverband und Ergotherapieverbände über eine zukunftsfähige Lösung beratschlagen. Denn im Moment gibt es gar keinen Grund zur Sorge, dass es zu erheblichen Mengenausweitungen kommen wird. In der Heilmittelbranche herrscht Fachkräftemangel.

Wirtschaftlichkeit ist auch eine Verantwortung der Patienten

Das Thema Wirtschaftlichkeitsgebot steht im SGB V in § 12. Dieser Paragraph zwingt die Patient:innen, Leistungserbringer:innen und Kassen zur Einhaltung der Wirtschaftlichkeit. Richtig, auch die Patientinnen und Patienten.

Ihr kennt es alle: Heilmittelverordnungen dauern manchmal länger als geplant. Ein Patient führt zuhause einfach seine Eigenübungen nicht aus und arbeitet auch sonst nicht besonders gut mit. Für Ärztinnen und Ärzte ist das aktuell immer eine Abwägungssache: Verordne ich weiter Heilmittel und riskiere, in Regress genommen zu werden, oder breche ich die Therapie vorsichtshalber ab, obwohl die Therapieziel noch nicht abgeschlossen ist.

Konkreter Vorschlag: Die Wirtschaftlichkeit kann ohne Mithilfe der Patientinnen und Patienten nicht immer gesichert werden. Deswegen wäre es z.B. sinnvoll, wenn diese in die Wirtschaftlichkeitsverantwortung einbezogen werden. Das bedeutet: Erreicht eine Patientin einen bestimmten Richtwert an Behandlungseinheiten, z.B. den der jetzigen „roten“ Ampel, dürfen Heilmittelpraxen mögliche Vergütungsabschläge durch die GKV den Patient:innen in Rechnung stellen. Das ließe sich auch im Ampelsystem der Ergotherapeuten problemlos umsetzen.

Evidenzbasierte Medizin muss auch für die Wirtschaftlichkeitsprüfung gelten

Auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen mögliche Richtgrößen oder Ampel-Obergrenzen? In welcher Leitlinie ist festgelegt, was die richtige Anzahl von Behandlungseinheiten je Verordnungsfall ist? Das weiß aktuell niemand.

Dieses Informationsdefizit erklärt drastische Versorgungsunterschiede: Im Jahr 2022 sind in Sachsen je 1000 Versicherte 6.504 Behandlungseinheiten erbracht worden, in Hessen dagegen weniger als die Hälfte, nämlich 3.111 Behandlungseinheiten. Das lässt sich inhaltlich/fachlich nicht erklären.

Für die Patient:innen bedeutet das, dass ihre Heilmittelversorgung gar nicht von ihrem medizinischen Problem abhängt, sondern eher vom Regressdruck, den der individuelle Verordner gerade verspürt. Solch einem pauschalen Regressdruck, der losgelöst von medizinischer Evidenz entsteht, will niemand in die Heilmittelbranche übertragen – das kann auch nicht im Sinne der Krankenkassen sein.

Fazit: Die Heilmittelbranche braucht einen Plan

Der Heilmittelbranche fehlen für die Übernahme der Wirtschaftlichkeitsverantwortung erstens fundierte Versorgungsdaten, zweitens ein stabiler Plan wie das Thema Wirtschaftlichkeit im Heilmittelbereich umzusetzen ist und drittens auch Ressourcen, um einen solchen Plan zu entwickeln.

Die fehlenden Daten lassen sich für die Blankoverordnungen in den im § 125a Abs. 6 vorgegebenen Bericht ermitteln. Und diese Daten werden viel realer und belastbarer, wenn es noch keine Androhung von Vergütungsabschlägen gibt. Rein methodisch dürfte es kaum einen Zweifel darangeben, dass erst Daten erhoben werden müssen und dann erst daran anschließend ggf. Maßnahmen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit greifen sollten.

Und die Ressourcen, die notwendig sind, um einen professionellen Plan gemeinsam zu entwickeln, bzw. entwickeln zu lassen, müsste man sich von den Heilmittelpraxen holen. Wenn bei ca. 75.000 zugelassenen Praxen alle einmalig 50 Euro auf den Tisch legen, sind wir schon bei 3,75 Millionen Euro. Das sollte sowohl für eine zentrale Arbeitsgruppe aller Verbände als auch für einen Arbeitsauftrag an eine mit der Thematik vertraute Anwaltskanzlei reichen.

Zugegeben, das hört sich nach einem ziemlich großen Projekt an. Aber das Thema, um das es geht, sollte es Wert sein lieber etwas größer zu denken, als jetzt kleinteilig, Vertrag für Vertrag Regelungen zu vereinbaren, deren mittel- und langfristige Auswirkungen schlecht abschätzbar sind.

Weitere Infos: Im up-podcast spricht Ralf Buchner mit buchner Referent Björn Schwarz über seine Bedenken bei einer Ampellösung.

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2 Kommentare
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Karin
25.06.2023 14:47

Hallo! Danke für diesen konstruktiven Vorschlag, den ich genauso sehe!… Weiterlesen »

Anke Steinicke
24.06.2023 12:02

Nicht mal die Vertreter unserer beiden Verbände schaffen es sich… Weiterlesen »

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