Blanko-VO in der Ergotherapie: Falscher Vertrag oder cleveres Verhandlungsgeschick?
Stand: 16.Juni 2023. Gestern kam die Nachricht, dass sich die beiden Ergotherapieverbände DVE und BED mit dem GKV-Spitzenverband auf die „Big Points“ in Bezug auf die Blankoverordnung geeinigt haben. Das ist auf jeden Fall mein Highlight der Woche. Schließlich warten wir bereits seit knapp zwei Jahren auf die entsprechenden Verträge.
Endlich geht es also voran in Sachen Blankoverordnung und Eigenverantwortung der Heilmittelerbringer:innen. Unter anderen einigten sich die Vertragspartner auf drei Diagnosegruppen, bei denen Ärztinnen und Ärzte Blankoverordnungen ausstellen können. Außerdem ist ein Ampelsystem in Planung, um Mengenausweitungen zu verhindern.
Grundsätzlich ist es ja gut, Sicherheit für beide Seiten zu schaffen. Die GKV hat Angst vor Mengenausweitung, manch Heilmittelerbringer vor Regressforderungen, aber das Ampelsystem, das hier vereinbart wurde, wird Praxisinhaberinnen und -inhaber vor einige therapeutische und finanzielle Probleme stellen. Denn: Patient:innen die mehr Therapie benötigen, sorgen schnell dafür, dass die Ampel auf Rot springt. Die Folge sind dann Vergütungsabschläge für die Praxis. Wer also seine Patientinnen und Patienten alle therapeutisch erforderlichen Behandlungen zukommen lassen möchte, erhält für alle Therapieeinheiten, die in die Rotphase fallen, eine geringere Vergütung. Ist das fair? Nein, nicht den Patienten gegenüber und auch nicht für die Therapeut:innen. Wir erläutern hier noch einmal ausführlich, warum ein solches Ampelsystem nicht nur unfair ist, sondern gesetzlich auch gar nicht nötig.
Die Verbände bewerten ihre bisherigen Vereinbarungen mit dem GKV-Spitzenverband natürlich als Erfolg. Ihr Fazit: „Durch diese Ampellösung kommt es bei den Ergotherapeut*innen NICHT zu einem allgemeinem Budget- oder Regressdruck, wie Ärzte und Ärztinnen es nur zu gut kennen. Auch sind budgetbezogene nachträgliche Kürzungen auf diese Weise ausgeschlossen.“
Dieser Text kann unmöglich ernst gemeint sein. Denn die Ampellösung sorgt tatsächlich dafür, dass es nicht zu einem „allgemeinen Regressdruck“ kommt, sondern zu ganz konkreten und realen Vergütungsabschlägen, ohne eine Möglichkeit dem zu widersprechen, so wie Ärzt:innen es durchaus machen können. Und ja, nachträgliche Kürzungen sind beim Ampelsystem ausgeschlossen, weil die ja schon vorher mit den Vergütungsvereinbarungen gekürzt worden sind.
Wir fragen uns daher: Ist die Veröffentlichung dieser Big Points ein cleverer Verhandlungstrick, mit dem die Verbände die Vorstellungen der Krankenkassen zum Thema Wirtschaftlichkeit in die Öffentlichkeit zerren und sich davon erhoffen, dass sich alle Ergotherapeutinnen und -therapeuten über das Ampelsystem so lautstark aufregen werden, dass die Verbände den Kassen mitteilen müssen, man könne diese Lösung auf keinen Fall unterschreiben, denn das wäre in der Branche nicht durchsetzbar? Vielleicht erklären uns die Verbände ja auch noch mal, warum sie sich auf dieses Ampelsystem eingelassen haben.
Auch die anderen Berufsgruppen sollten genau hinsehen, was gerade in der Ergotherapie vereinbart wird. Denn ist das Ampelsystem erst einmal in einer Berufsgruppe etabliert, wird es ganz schnell zum Standard – auch in der Logopädie und Physiotherapie. Und dann ist bei Blankoverordnung nicht Schluss. Denn auch beim Direktzugang stellt sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeitsverantwortung. Ist hier durch die Blanko-VO erstmal ein System etabliert, wird es sicher auch dort Anwendungen finden. Wie seht Ihr das? Wir freuen uns über Eure Meinung an: redaktion@buchner.de
Woher diese Panik vor einer Mengenausweitung kommt, bleibt ein Rätsel. Denn gerade zeigen wieder aktuelle Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern, dass die Therapiepraxen lange nicht alle Patientinnen und Patienten versorgen können, die mit einer Physiotherapie-Verordnung vor der Tür stehen – und das sieht in der Ergotherapie und Logopädie ja nicht anders aus. In Mecklenburg-Vorpommern sollen 900 Physiotherapie-Praxen und 800 Praxen für Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Diätassistenz 1,7 Millionen Behandlungen pro Monat erfüllen, die Patient:innen verordnet bekommen. Das ist knackig.
„Knackig, dieser Hintern“ – kennt Ihr solche Aussagen von Patientinnen oder Patienten? Laut Befragungen mussten sich 70 Prozent der Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen solche Kommentaren schon einmal von Patient:innen, Kolleg:innen und auch Führungskräften anhören. Und ja, auch solche vielleicht nett gemeinten Sätze gelten als sexuelle Belästigungen, genauer zu den verbalen. Non-verbale sexuelle Belästigungen sind bestimmte, anzügliche Mimiken und Gestiken, zu den körperlichen zählen bereits ungewollte Berührungen. Wer sexuell belästigt wird, kann psychische Folgen davontragen. Sprecht daher mit Euren Mitarbeiter:innen über dieses sensible Thema, legt Regeln fest und tauscht Euch über Eure Erfahrungen aus.
Hör-Tipp: In unserem up–Podcast geht es diese Woche um „Roboter in Ausbildung“. Wir haben mit Simone Nertinger vom Forschungsprojekt „Geriatronik“ der TU München darüber gesprochen, welche Chancen Roboter in Bezug auf eine therapeutische Versorgung von Menschen zukünftig bieten können – besonders im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die Unterversorgung in strukturschwachen Regionen.
Und nun bin ich gespannt, was sich in Bezug auf die Blankoverordnung bei den Ergotherapeut:innen noch so tut, und was Ihr dazu sagt.
Herzliche Grüße
Euer Ralf Buchner