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Lymphdrainage – quo vadis?

Welche Zukunft haben MLD und KPE?

Im Gespräch:
Marietta Süßle,
Physiotherapeutin, Schulleitung der Földi-Schule
Elvira Albrecht ,
Physiotherapeutin an der Földi-Klinik
Sabine Zehnle,
Physiotherapeutin, Praxisinhaberin und Dozentin an der Földi-Schule

Manuelle Lymphdrainage (MLD) bzw. die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) sind Zertifikatsleistungen. Physiotherapeut:innen müssen die Zusatzausbildung absolvieren, um die Leistung anbieten zu können. Aber besonders attraktiv ist das nicht: Mit klassischer Physiotherapie lässt sich mehr verdienen. Hinzu kommt, dass die Evidenzlage bei MLD/KPE zu wünschen übrig lässt. Wie kann eine flächendeckende Versorgung mit KPE künftig aufrechterhalten werden?

Inhalt dieser Podcastausgabe:

„Man kann doch Versorgunglücken nicht mit Idealismus kompensieren.“

Ein Gespräch über die Lage und die mögliche Zukunft von Lymphdrainage und KPE

(up_doppelbehandlung-Episode vom 26.10.2022)

 

up_doppelbehandlung: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts. Mein Name ist Ralf Buchner, und heute sind wir mal zu viert. Ich habe drei nette Kolleginnen online zugeschaltet, die sich am besten selber vorstellen.

Süßle: Guten Tag, ich bin Marietta Süßle. Ich bin Physiotherapeutin in der Földiklinik und arbeite in der Földischule, bin dort zuständig für Weiterbildungskurse MLD/KPE.

up_doppelbehandlung: Damit haben wir auch schon das Thema für heute – wir wollen über Lymphdrainage sprechen.

Albrecht: Ich bin Elvira Albrecht. Ich bin leitende Physiotherapeutin in der Földikklinik, vertrete den stationären Bereich, das Umsetzen der Entstauungstherapie in der Klinik.

Zehnle: Und ich bin Frau Sabine Zehnle, selbständige Therapeutin, Ich kümmere mich um Behandlung von Lymphpatientin und unterrichte als Dozentin in der Földischule und kann somit die Schule und die Arbeit in der Praxis sehr gut verknüpfen.

up_doppelbehandlung: Wenn ich Lymphdrainage abrechne mit der GKV, dann komme ich auf einen Minutenpreis, der unter dem Preis liegt, den ich für normale KG erwirtschafte. Das heißt, wenn man Lymphdrainage erbringt, verdient man weniger Geld. Arbeiten Sie deswegen als Dozentin, Frau Zehnle – zur Querfinanzierung?

Zehnle: Nein, es bringt mir einfach mächtig viel Spaß, mein Wissen weiterzugeben und das, was ich in der Praxis machen, zu transferieren. Zu vermitteln, dass man das auch gut ambulant machen kann – nicht nur stationär.

up_doppelbehandlung: Wenn ich mit der Physiotherapieausbildung durch bin, muss ich Lymphdrainage immer noch extra lernen. Frau Süßle, haben Sie Nachfragestockungen oder sind Sie immer voll ausgelastet?

Süßle: Trotz Corona haben wir nach wie vor Nachfragen nicht nur aus Deutschland, wo die Ausbildung so reguliert ist über den VdeK. Auch die akademisierten Therapeuten aus dem Ausland fragen bei uns an, um unser 4-Wochen-Konzept zu durchlaufen. Und das spricht ja auch für eine Fortbildung, wie sie aufgebaut ist.

up_doppelbehandlung: Ich habe „Lymphdrainage-Fortbildung“ gesagt – das stimmt doch gar nicht?

Süßle: Nein, es geht um MLD/KPE-Kurs, also die Entstauungstherapie. Nicht um eine eintönige Technikvermittlung, sondern um die Behandlungskonzepte in Kontext mit Krankheitsbildern, die man verstehen muss… um das Konzept gut anzuwenden. Und die Gewichtung Lymphdrainage – andere Therapiemaßnahmen herauszufinden.

up_doppelbehandlung: Könen Sie „KPE“ kurz auflösen?

Süßle: Ja, das ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie. Da gibt es mehrere Therapiesäulen: Manuelle Lymphdrainage, Hautpflege, Kompressionsbandagen, Entstauungsgymnastik, Selbstmanagement, was sich aus den vier Säulen herausfiltert.

up_doppelbehandlung: Kompressionstherapie: Gehört da auch das Anmessen und Ausstatten mit den richtigen Strümpfen dazu?

Süßle: Das Anmessen direkt nicht, das machen ja Bandagisten. Aber was wir machen ist vor allem die Bandage-Technik – die Therapeuten müssen ja in der Lage sein, die Strümpfe zu begutachten und herauszufinden mit den Patienten, ob die für den Alltag passend sind…

up_doppelbehandlung: Frau Albrecht, KPE umsetzen im stationärem Kontext. Geht das?

Albrecht: Ja, mit sehr viel Aufwand, auch personellem 1:1-Aufwand.

up_doppelbehandlung: Wer gehört zum Team?

Albrecht: Ein Arzt, Pflege, weil die Patienten immer multimorbider werden. Therapeuten, Ernährungsberatung, psychologische Beratung bis hin zum Küchenpersonal. Die Entstauungstherapie streift einfach so viele Bereich. Da kommt ein Patient mit einer Schwellung – das kann ein onkologischer Patient sein, ein pädiatrischer, ein orthopädisch-chirurgischer Patient…deshalb ist es so vielschichtig.

up_doppelbehandlung: Frau Zehnle, schafft man das auch ambulant umzusetzen?

Zehnle: Ja, dann ist man Vieles zugleich, aber natürlich manchmal alles, was Frau Albrecht aufgezählt hat, in einem. Sie müssen manchmal Entscheidungen treffen, die in ärztliche Kompetenzen hineingreifen, sind Ernährungsberater:in, müssen den oder die Patientin in Bewegung bringen… Das schafft man, aber das funktioniert nicht mit allen Patienten.

up_doppelbehandlung: Sie haben gerade über Geld gesprochen, Zeit und Energie. Wir haben, meine ich, im letzten Jahr rund 1.5. Milliarden Euro für Lymphdrainage ausgegeben. Das heißt, diese 1,5 Milliarden Euro, die anfallen für die ambulante Versorgung mit Lymphdrainage, sind nur ein Bruchteil der Gesamtkosten, die entstehen, wenn man sich anguckt, was im stationären Bereich alles in KPE enthalten ist. Wie finanzieren Sie das in Ihrer Praxis denn? Wieviel macht Lymphdrainage an der KPE im Schnitt aus? Kann man das so sagen? Zehn-zwanzig Prozent?

Zehnle: Bei mir in der Praxis sicherlich noch mehr, vielleicht 40-50 Prozent.

up_doppelbehandlung: Wie ist das stationär?

Albrecht: Ich finde es insofern schwierig…was heißt KPE? Ich werde ja während der Behandlung meinen Patient:innen ganz viel erklären. Da kann man jetzt nicht sagen: Ich habe ein reines Zeitfenster, in dem ich „nur“ Lymphdrainage mache. Ich würde sogar sagen, vielleicht die Hälfte.

Süßle: Das verändert sich ja auch im Lauf der Therapieserie. Wenn der Patient am Anfang kommt, hat man andere Schwerpunkte – das Gewicht der einzelnen Therapiemaßnahmen ändert sich, weil der Befund sich ja auch verändert.

Albrecht: Wenn man davon ausgeht, dass wir viele Patient:innen mit chronischen Erkrankungen haben, dann wird irgendwann die Lymphdrainage verschwindend gering werden, weil ich den Patienten soweit habe, dass er konsequent seine Kompressionen trägt, sich bewegt und vielleicht wirklich nur im Bedarfsfall noch zur Lymphdrainage gehen muss.

up_doppelbehandlung: Es gibt eine Studie (ich glaube von der Barmer-Ersatzkasse), dass nur 30 Prozent der Leute, die einen Kompressionsstrumpf brauchen, auch einen kriegen – und die anderen gehen fleißig weiter zur Lymphdrainage. Das würde erklären, warum wir so einen hohen Anteil an Lymphdrainage haben, aber nicht so einen hohen an Kompressionsstrümpfen. Betriebswirtschaftlich wäre es doch für Therapeuten viel cooler, wenn sie die Patient:innen behalten und weiter Lymphdrainagen machen.

Albrecht: Wir fragen uns oft: Wieviel der Strümpfe, die verordnet werden, werden eigentlich auch regelmäßig getragen? Und die Therapeuten wollen die Patient:innen ja nicht an sich binden, sondern es ist viel erfüllender, wenn man merkt, jetzt hat man den Patienten an Bord.

Zehnle: Auf jeden Fall ist es viel befriedigender, wenn ich sehe, dass das Ganze wirkungsvoll ist und der Patient sehr viel agiler, aktiver sein kann.

Süßle: Man muss auch das Verordnungsverhalten der Ärzte sehen. Nicht alle kennen sich da gut aus mit Lymphologie und entdecken, da kann man zweimal die Woche Lymphdrainage verordnen. Und dann muss der Therapeut kompetent sein und merken, was kann ich wirklich erreichen – und ist da immer wieder Lymphdrainage auch nötig?

up_doppelbehandlung: Das Verordnungsverhalten der Ärzte wird ja bestimmt durch den Heilmittelkatalog. Ist denn die KPE im Heilmittelkatalog überhaupt irgendwo erwähnt?

Süßle: Als Begriff nicht. Im Heilmittelkatalog ist es zu finden unter LY – da findet man Lymphdrainage, Kompressionsbandage…

up_doppelbehandlung: …also ich muss als Arzt einmal eine Heilmittelverordnung ausstellen, ich muss vielleicht noch Ernährungstherapie verordnen, ich muss vielleicht noch Ergo oder Bestrumpfung verordnen…Ist das sinnvoll für Sie als Ausbildungszentrum, dass das alles so zerfasert ist?

Süßle: Kommt drauf an, was der Therapeut dann draus macht. Wenn er gut ausgebildet ist, kann er natürlich mit einer PKE, die im Rezept genannt ist, etwas freier umgehen…

up_doppelbehandlung: Frau Zehnle, wären Sie glücklich, wenn es KPE im Heilmittelkatalog gäbe und Sie KPE verordnet bekämen. Würde das das Leben Ihrer Patienten und Ihre Praxisverwaltungsgeschichten vereinfachen?

Zehnle: Für mich würde sich nicht wirklich was verändern, denn wenn ich die Notwendigkeit sehe, dass ich einen Patienten mit KPE behandeln muss, dass spreche ich den entsprechenden Arzt an. Natürlich hat man einen großen Vorteil, wenn man Lymphologen zur Hand hat, die sich mit der Verordnung auch auskennen – und lasse mir die Manuelle Lymphdrainage und die Kompressionsbandage und die Übungsbehandlung verordnen und dann habe ich die KPE.

up_doppelbehandlung: Ja, aber natürlich schlecht bezahlt. Wenn man will, dass das flächendeckend ambulant den Patienten auch flächendeckend zur Verfügung steht, muss man doch mal die Frage stellen: Wann wird es denn wenigstens so bezahlt wie normale Physiotherapie, oder?

Zehnle: Ja, finde ich schon. Es ist sicherlich so, dass wir in diesem Bereich mit sehr viel Idealismus arbeiten und an der einen oder anderen Stelle auf ein wenig Geld verzichten.

up_doppelbehandlung: Man kann doch Versorgunglücken oder -schieflagen, also etwa, dass KPE nicht im Heilmittelkatalog steht, nicht mit Idealismus kompensieren. Als gesundheitspolitischer Aspekt finde ich das nicht angemessen.

Zehnle: Nein, das funktioniert nicht dauerhaft.

Alberecht: Diese Versorgungslücke schultern Therapeuten.

up_doppelbehandlung: Aktuell wird ja diskutiert, wie soll Physiotherapie in Zukunft ausgebildet werden, soll es eine Teil-Akademisierung geben, eine Voll-Akademisierung. Wo ist denn da die Lymphdrainage bzw. die KPE an dieser Stelle? Wo sehen Sie den Stellenwert in diesem Ausbildungsgang?

Für den weiteren Verlauf des Gesprächs bitte die Episode anhören!

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