Im Gespräch:
Zuständige Referentin bei der BGW für Beratungsangebote in der Region West, Koordinatorin des Krisencoachings
Externe Beraterin für die BGW und Coachin
Schon im normalen Therapiebetrieb sind die Anforderungen an Führungskräfte hoch. Seit Beginn der Corona-Pandemie aber sind sie immens gestiegen. Denn mit ihr gingen im Gesundheitswesen stetig neue und sich wandelnde Anforderungen einher. Dazu kamen die Impfpflicht und die daraus entstehenden Konflikte. Und seit Anfang des Jahres ergeben sich weitere Themen durch den Krieg in der Ukraine. Als Führungskraft in so ungewissen Zeiten handlungsfähig zu bleiben und das Team bestärkend zu führen, ist nicht ohne. Wohin mit der eigenen Verzagtheit, der eigenen Erschöpfung? Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege bietet Unterstützung an – mit dem kostenlosen Krisencoaching für Führungskräfte. Up-Herausgeber Ralf Buchner spricht mit Ulla Vogt und Carolin Wolf. Sie haben als Koordinatorin und Coachin gemeinsam das Angebot initiiert.
Inhalt dieser Podcastausgabe:
„Wir streichen in der Krise sukzessive alles das, was sonst uns als stärkende Rahmung umgibt“
(Transkript zum Podcast „up_doppelbehandlung“ vom 8.6.22)
Wie gehen eigentlich Führungskräfte mit dem Druck in Krisenzeiten um? Seit Corona ist Vieles, was vorher klar geregelt war, weggefallen. Und auf allen Ebenen tauchten plötzlich neue und sich ständig wieder ändernde Anforderungen auf. Was, wenn man selber unsicher ist – dem Team aber Orientierung geben möchte und muss? Wohin mit der eigenen Ratlosigkeit? Die BGW (Berufsgenossenschaft für Gesundheits- und Wohlfahrtspflege) hat gleich nach Pandemie-Beginn ein Krisencoaching ins Leben gerufen, das sich speziell an Personen mit Leitungsverantwortung wendet. Mit dabei sind Ulla Vogt, sie managed das Krisencoaching, und Carolin Wolf, die Logopädin und Psychologin ist und das Coaching praktisch durchführt.
Was ist das BGW-Krisencoaching?
Das ist ein Coaching-Angebot für eine bestimmte Zielgruppe. Es richtet sich in erster Linie an Führungskräfte und Personen in Verantwortung. Wir haben das zu Beginn der Corona-Pandemie gestartet, in einem Moment, in dem ganz viele Dinge auf einmal nicht mehr stattfinden konnten. Wir hatten zuvor das Angebot des Coachings als Einzelberatung und als Teamcoaching im Kontext von Beratungsprojekten. Und nun haben wir gedacht: „Wenn jetzt das, was wir normalerweise tun – nämlich Coaching in den Betrieben – nicht mehr durchgeführt werden kann… Was können wir denn tun, um diese schwierige Situation zu meistern?“ Und dann haben wir dieses Angebot gestartet.
Normalerweise sind Sie sicher eher in größeren Einrichtungen unterwegs, in Altenheimen oder Krankenhäusern – und eher nicht in kleinen ambulanten Praxen, oder?
Das stimmt, eher in größeren Einrichtungen und auch eher in Einrichtungen der Pflege, aber es gab grundsätzlich auch immer schon Kontakte zu kleineren Betrieben, und im Rahmen des Krisencoachings haben wir deutlich mehr Kontakte zu kleineren Betrieben bekommen als wie vorher hatten.
Was meinen Sie, wie kommt das?
Das Angebot ist natürlich nochmal anders vorgestellt worden, war sichtbar auf den Seiten der BGW, und wir sind von dem Konzept, es im Rahmen von Beratungsprojekten zu machen, abgerückt. Wir haben gesagt, dass wir alle, die Bedarf an Beratung im Rahmen dieser Krise haben, beraten wollen.
Was ist denn eine Krise? Ist Corona immer noch „Krise“?
Absolut. Krise bedeutet, dass ich als Führungskraft in einer Situation bin, in der es keine gute Passung gibt zwischen meinen wahrgenommenen Kompetenzen und den Anforderungen der Situation. Und dann komme ich in ein Ungleichgewicht. In der Folge: Orientierungslosigkeit, Ratlosigkeit… Wir merken manchmal an uns selber schlechte Stimmung. Oder auch, wenn ich zurückdenke an diejenigen, die sich an uns gewandt haben: Da war kaum jemand dabei, der gesagt hat: „Ich schlafe gut“. Der Schlaf war schlecht, meistens auch die Ernährung, man hat sich weniger bewegt als sonst. In der Krise entwickeln wir auch paradoxes Verhalten: wir wissen, je stärker die Krise ist, desto wichtiger ist die Verbundenheit mit anderen. Und trotzdem kappen wir diesen wichtigen Ressourcenast „Soziale Beziehungen“ und sagen, wir haben keine Zeit.
Warum machen wir das? Weil es zu viel ist?
Das passiert nicht bewusst. Das hat oft gar nichts zu tun mit den tatsächlichen Ressourcen, sondern mit den Ressourcen, zu denen ich derzeit eine Verbindung spüre. Und dann ist oft ein erster Impuls, dass ich versuche, alle meine Energie in die scheinbar nicht lösbare Situation zu stecken. Und das ist der Grund, weshalb ich länger am Schreibtisch sitze, weshalb ich die guten Sachen für mich nicht mache, obwohl ich es besser wisse – dass mein Kopf dann besser funktionsfähig wäre.
Was passiert mit meinen Mitarbeitern, wenn sie merken, dass ich in einen Krisenmodus abdrifte?
Das überträgt sich sehr schnell. Was Chefs ausstrahlen, das kommt auch bei den Mitarbeitern an. Da ändern sich Beziehungen auch. Vielleicht fordern Mitarbeiter in so einer unsicheren Phase auch erst recht mehr Führung ein. Und dann kommen wir in eine Situation, die schwierig wird. Wer hat von uns denn schon mal eine Pandemie erlebt? Ein Phänomen in dieser Zeit war zum Beispiel auch, dass der klassische Versorgungsauftrag zum Beispiel einer Logopädiepraxis nicht mehr wahrgenommen wurde, weil Mitarbeiter gesagt haben: „Ich gehe mal ins Homeoffice“.
Wie kontaktieren Interessierte Sie denn?
Die Leute kommen zu uns über die Homepage, das Postfach, wo man eine Mail hinschreiben kann – oder sie kommen über die Kontakte, die wir in dem Bereich haben. Alles landet in unserem Postfach, und dann nehmen wir Kontakt auf und vermitteln ein Coaching.
Das bleibt sicher als Angebot noch eine Weile?
Ja. Erst wollten wir das nur ein viertel Jahr lang machen. Dann haben wir es peu à peu verlängert, und nun sind wir mit dem Angebot schon im zweiten Jahr. Immer wieder war da etwa – die Flutkatastrophe (da hat zum Beispiel eine logopädische Praxis das Angebot angenommen), dann kam die Debatte ums Impfen im Gesundheitswesen, dann der Ukraine-Krieg…
Was wurde und wird am häufigsten nachgefragt?
Schon die Pandemie-Krisensituation und das Thema Impfen und die daraus folgende Erschöpfung und Ermüdung auf allen Ebenen.
Wie startet so ein Coaching?
Wir verabreden uns zu einem Erstgespräch per Telefon oder als online-Termin. Und dann erzählen Sie erstmal von Ihrer aktuellen Situation. Wir ermitteln, was Ihre Intention für das Coaching ist. Dieses erste Gespräch dauert etwa eine Dreiviertelstunde. Danach folgen bis zu fünf Termine, die 90 Minuten umfassen. Alle sind gerahmt von dem, was am Anfang genannt wurde, sind aber offen für aktuelle Anliegen. Wichtig dabei: uns Coaches eint eine systemische Grundhaltung. Das bedeutet ein klares Verständnis von zukunftsorientiertem Vorgehen. Es geht darum, wieder handlungsfähig zu werden.
Wenn Leute sich fragen, ob ihr Anliegen ausreicht für ein Coaching?
Das klären wir meistens schon in der Organisation im Vorfeld. Aber meistens ist da ja schon etwas, das Sie beschäftigt. Auch, wenn Sie nur wenige Mitarbeiter führen: Es gibt immer drei Säulen der Führung – die Selbstführung, das Führen der Mitarbeitenden und das Führen der Organisation. Die zweite und die dritte Säule funktionieren nur, wenn die erste Säule auch mit an Bord ist.
Muss es der Inhaber sein, der berechtigt ist, das Angebot zu erhalten?
Nein, es richtet sich an Personen in Leitungsverantwortung, das ist uns wichtig. Hier geht es wirklich um Führungskräfte, das kann aber auch eine Mitarbeitervertretung sein – es muss nicht der Inhaber oder die Inhaberin der Praxis sein. Wir haben aber auch ein weiteres BGW-Angebot für „normale“ Arbeitnehmer: Die telefonische Krisenberatung ist offen für alle Versicherten.
Vielen Dank!
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