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Krisen erkennen

Mit MHFA bei psychischer Belastung unterstützen

INTERVIEW MIT:
Dr. Simona Maltese
Dr. Simona Maltese,
Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim
Lisa Naab
Lisa Naab,
Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim

Jemand in Deinem Team ist in letzter Zeit öfter krank oder weniger belastbar? Bei einem Patienten stimmt irgendetwas nicht? Wie reagierst Du? Wir sprechen dieses Mal über „Mental Health First Aid“-Kurse, kurz MHFA. Zwei Psychotherapeutinnen erklären, was es damit auf sich hat und warum es für Heilmittelpraxen lohnend sein kann, einen MHFA-Ersthelfer im Team zu haben.

Weitere Infos:

Erste-Hilfe-Kurse für medizinische Notfälle sind weit verbreitet. Bei Erste-Hilfe-Kursen für die psychische Gesundheit sieht das anders aus. Dabei ist jeder vierte Deutsche von einer psychischen Störung betroffen, also vermutlich auch Patientinnen und Patienten oder Teammitglieder Deiner Physio-, Ergo- oder Logopädie-Praxis. Wie kannst Du sicherstellen, dass Betroffene Unterstützung erhalten? Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim bietet Privatpersonen, Organisationen und Unternehmen sogenannte MHFA-Kurse an. Das steht für „Mental Health First Aid“. Hier geht es unter anderem um Anzeichen psychischer Störungen und um Wege, Betroffene anzusprechen. Die Psychotherapeutinnen Dr. Simona Maltese und Lisa Naab erklären im Podcast, wie die Schulungen ablaufen und warum es für Heilmittelpraxen lohnend sein kann, einen MHFA-Ersthelfer im Team zu haben.

Weitere Informationen und Ansprechpartner zum Thema findest Du hier.

Inhalt dieser Podcastausgabe:

„Das Thema der psychischen Gesundheit ist in Deutschland noch immer sehr stark mit Vorurteilen behaftet.“

(up_doppelbehandlung-Folge vom 07.12.22)

 

up_doppelbehandlung: Heute wollen wir uns mit dem Thema MHFA beschäftigen, das ist psychologische Ersthilfe, und wir haben zwei Psychologinnen zu Gast. Das sind einmal Dr. Simona Maltese und einmal Lisa Naab – mögen Sie sich selbst vorstellen?

Naab: Mein Name ist Lisa Naab. Ich bin approbierte psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie, arbeite eigenständig in einer Praxis und bin nebenbei bei MHFA angestellt und gebe Kurse.

Maltese: Mein Name ist Simona Maltese, ich bin ebenfalls psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Ich behandle zum einen Patienten, zum Großteil bin ich aber mit im Leitungsteam des Projekts MHFA – Mental Health First Aid – Ersthelfer, die Kurse für psychische Gesundheit.

up_doppelbehandlung: Erklären sie uns, warum das ein englischer Begriff ist?

Maltese: Das ganze Programm wurde vor 21 Jahren in Australien gegründet und ist von dort aus in viele andere Länder übergeschwappt. Mittlerweile ist das Programm in 26 Ländern aktiv.

up_doppelbehandlung: Das heißt, es gibt Evidenz, man weiß, dass das Ganze funktioniert?

Maltese: Korrekt. Der standardisierte Ersthelferkurs wurde seit Entstehung kontinuierlich wissenschaftlich evaluiert. Es gibt sehr viele Studien und einige Meta-Analysen dazu, die belegen, dass sowohl das Wissen über psychische Störungen bei den Teilnehmenden nachhaltig zunimmt. Außerdem berichten die Teilnehmenden über ein höheres Selbstvertrauen, Bekannte in Krisensituationen unterstützen zu können.

up_doppelbehandlung: Das hört sich spannend an, denn ich vermute mal, dass in der Corona-Zeit die psychischen Probleme zugenommen haben. Ich habe das jedenfalls so erlebt: Die Leute reagieren sensibler, ich nehme wahr, dass die Belastbarkeit einiger Kolleginnen und Kollegen runtergeht. Woran merke ich denn, ob meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Kolleginnen und Kollegen psychische Unterstützung benötigen?

Naab: Prinzipiell gibt es ganz viele, unterschiedliche, diffuse Warnzeichen, die auf eine psychische Belastung hinweisen. Es kann sein, dass ich beobachte, meine Kollegin, mein Mitarbeiter unkonzentriert wird, die Aufgaben nicht mehr so zuverlässig wahrnimmt, häufige Abwesenheiten hat oder vielleicht auch von Arztterminen berichtet. Oder ein Mitarbeiter wirkt auch im Kontakt sehr verändert, bringt sich in Meetings oder Teamtreffen weniger ein oder zieht sich vielleicht auch ganz zurück. Die Bandbreite ist da sehr groß. Wir empfehlen immer, auf Veränderungen im Verhalten oder Erscheinungsbild der Person zu achten und die Sorge, die bei mir als Beobachter dann auftritt, ernst zu nehmen. Was letztendlich dahinter steckt, kann sich nur im Gespräch zeigen.

up_doppelbehandlung: Ich verspüre bei mir selbst eine große Unsicherheit: Wie verhalte ich mich da als Chef? Kann ich sowas in den Kursen lernen, wie ich mich da zielführender oder korrekter verhalte?

Naab: Ja, das ist unser erklärtes Ziel, genau dieses Wissen an die Hand zu geben. Also zu wissen: Wie gehe ich jetzt auf so eine Person zu – ob ich nun Vorgesetzter bin oder Kollegin – um die ich mir Sorgen mache, und wie kann ich meine Sorge auch formulieren? In den Kursen werden neben Basiswissen zu psychischen Störungen vor allem ganz konkrete Kommunikationstechniken eingeübt, die die Chance erhöhen sollen, dass ich auf eine Person zugehe, um die ich mir Sorgen mache. Gibt es einen Unterschied, ob ich als Chef oder Kollege oder Kollegin auf jemanden zugehe?

Maltese: Ich würde sagen: „Ja, in der Hierarchie gibt es irgendwie einen Unterschied“. Aber es kommt immer darauf an, wie nahestehend man der Person ist. Es gibt ja durchaus Führungskräfte, die einen sehr engen Bezug zu ihren Mitarbeitern haben und merken, wenn sich jemand verändert. Und dann ist es vielleicht einfacher, das anzusprechen, als wenn jemand eine eher distanzierte Führungskraft ist, die es eher als ihre Pflicht ansieht. Aber auch da üben wir das Wording. Und viele Leute kommen ja genau mit der Motivation, dass sie sagen: „Ich habe da eine große Unsicherheit. Ich habe mit Menschen in meinem Umfeld zu tun, die psychische Gesundheitsprobleme haben, aber ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll. Soll ich es ansprechen? Wecke ich damit schlafende Hunde? Oder wenn ich es anspreche, was passiert denn dann?“ Diese Fragen stellen sich ja die meisten, da ist eine große Unsicherheit in der Gesellschaft. Und genau das ist der Auftrag und das Ziel dieser Kurse, den Menschen da ein Gefühl der Sicherheit zu geben.

up_doppelbehandlung: Ich würde mich gar nicht trauen, von psychischen Gesundheitsproblemen zu reden… Sie benennen das so explizit… Darf man das? Sagen: „Hast Du ein psychisches Problem?“ Das würde ich mich nicht trauen.

Maltese: Man muss es ja nicht „labeln“. Man kann ja auf diese Person zugehen und sagen: „Du, mir ist das und das aufgefallen, Du bist so niedergeschlagen.“ Oder so ähnlich. Es geht darum, dass was man beobachtet hat, was einen in Sorge versetzt, anzusprechen.

up_doppelbehandlung: Und wie läuft der Kurs ab?

Naab: Er dauert zwölf Stunden, in denen zunächst Basiswissen zu den wichtigsten psychischen Störungen vermittelt. Also, wir reden darüber: „Was sind Anzeichen einer Depression?“, „Was ist eigentlich genau eine Psychose?“, „Was sind Anzeichen eines problematischen Alkoholkonsums“, „Welches sind Anzeichen, auf die ich etwa in Gesprächen achten kann?“. Und darauf aufbauend schauen wir uns an, was psychische Krisen sind, wir unterscheiden immer zwischen psychischen Störungen und Krisen, die daraus entstehen können – sowas wie eine akute Suizidalität oder eine akute Panikattacke, die dann auch sofortiges Handeln notwendig macht. Die Ersthelfenden können nach dem Kurs also einschätzen, wie schnell sie handeln müssen. Und dieses „Wie gehe ich genau auf eine Person zu, wo kann ich mich hinwerden, wann muss ich sofortige Hilfe hinzuziehen“ – das wird genau geübt, besprochen und anhand praxisnaher Fallbeispiele ausprobiert.

up_doppelbehandlung: Muss ich Vorbildung haben?

Maltese: Nein, der Kurs ist für Interessierten alle geeignet. Man sollte aber selbst ausreichend psychisch stabil sein. Wenn jemand selbst gerade psychisch belastet ist, ist es sicherlich hilfreich, den Kurs später einmal durchzuführen.

up_doppelbehandlung: In Firmen werden Ersthelfer ausgebildet, um bei Kolleginnen und Kollegen helfen zu können, oder?

Maltese: So ist das Konzept gedacht, ja.

up_doppelbehandlung: Kann ich dieses Kurswissen auch im therapeutischen Kontext einsetzen?

Maltese: Das ist durchaus einsetzbar im Praxisalltag, ja.

Naab: Je nachdem, welche Beziehung ich zu meinen Patienten habe, habe ich ja vielleicht auch eine gewisse Vertrauensbasis, um meine Beobachtungen zurückzumelden. Natürlich muss ich die Grenzen meiner Rolle kennen, ich bin kein Psychotherapeut, aber ich habe dann aufgrund des Kurses und der Beziehung zum Patienten da eine Einschätzungsgrundlage.

up_doppelbehandlung: Haben Sie sowas schon mit Therapeuten oder mit medizinischen Leistungserbringern gemacht?

Naab: Ja, wir bekommen da auch Rückmeldungen, dass dieses Wissen oft gefehlt hat – trotz fachlich meist guter Ausbildung.

 

Ihr wollt wissen, wie es weitergeht? Um mehr zu erfahren, hört Euch die Podcast-Episode an!

 

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