INTERVIEW MIT:
Logopäde und Mitinhaber der interdisziplinären Therapiepraxis Vitorium in Uelzen in der Lüneburger Heide
Mitten im zweiten Corona-Lockdown hat er sein multimodales Therapiezentrum eröffnet. In der Szene ist er bekannt für seine Reiseberichte: Stefan Reck, Logopäde, Unternehmer, Suchender, Beratender, Berufsaktivist. Mit uns hat er über harte Zeiten, tolle Teams, den Spirit von Tee und seine Neigung „hemmungslos zu klauen“ geredet.
Dies ist das Therapiezentrum von Stefan und Kristina Reck.
Inhalt dieser Podcastausgabe:
„Es wird hemmungslos geklaut.“
Im Gespräch: Stefan Reck, Logopäde und Mitinhaber der interdisziplinären Therapiepraxis Vitorium in Uelzen in der Lüneburger Heide
up-podcast-Episode vom 15.03.2023
up–podcast: Heute sind wir akustisch zu Gast in Uelzen, einem Ort in Niedersachsen, den sicherlich viele Zuhörer:innen aufgrund ihres bunten Bahnhofs kennen. Denn in Uelzen befindet sich der Hundertwasser-Bahnhof. Das ist schonmal ein fröhliches Bild einer Stadt, da vermittelt wird. Unser heutiger Gesprächspartner ist Stefan Reck. Stimmt denn der fröhliche Eindruck auch sonst vor Ort?
Reck: Hallo, Danke für die Einladung.
up–podcast: Wir führen unsere „Hausbesuch“-Gespräche immer so, dass wir uns drei Begriffe ausdenken mit immer dem gleichen Anfangsbuchstaben und unsere Gäste damit konfrontieren. Für Dich haben wir uns das „T“ ausgesucht und würden Dir direkt mal „Tee“ als ersten Begriff zurufen.
Reck: Tee. Dazu fällt mir ein, dass Tee bei uns im Büro eine ganz wichtige Rolle spielt. Wir haben Kaffee in allen Variationen, den wir auch den Patient:innen anbieten. Aber Tee spielt eine ganz wichtige Rolle als Treibstoff für uns, um in den Tag zu kommen.
up–podcast: Wenn Ihr Teambesprechungen habt – riecht das nicht eigentümlich, wenn jeder da seinen Tee rausholt? Ihr habt einen riesigen Tee-Raum…
Reck: Tatsächlich ist das eher früh am Morgen. Die Team-Meetings finden mehr in kleinen Gruppen statt, die Teams tagen eher getrennt voneinander. Aber über den ganzen Tag riecht es eigentlich sehr gut – nach Kaffee, nach Tee, Obst und Schokoladenspezialitäten
…riecht etwas nach Feinkostladen, kann man sagen.
up–podcast: Die einzelnen Teams tagen eher getrennt voneinander, sagst Du. Wer seid Ihr?
Reck: Wir sind so 20 Personen. Meine Schwester und ich sind die Inhaber:innen des Vitoriums. Dann haben wir Physiotherapie als größten Bereich, dann Ergotherapie, Logopädie, dann haben wir Kolleg:innen, die im Büro arbeiten und die ganze Administration übernehmen. Wir sind also eine interdisziplinäre Praxis.
up–podcast: Wie lebt Ihr das Interdisziplinäre?
Reck: Rund 20 Prozent der Patient:innen werden multimodal betreut, d.h., mehrere Therapeut:innen arbeiten an einem Patienten. Das ist uns wichtig, ich glaube, das ist auch meinen Kolleg:innen wichtig. Man erreicht einfach mehr, wenn die Wege zu Absprachen kürzer sind, es gibt Möglichkeiten, sich immer wieder auszutauschen auch unabhängig von Patient:innen. Da wird viel auch über die Arbeitsweise der anderen gelernt, und das hat Einfluss auf die Therapie aller Kolleg:innnen. Das ist uns als Ansatz sehr wichtig.
up–podcast: Würdest du das unumwunden empfehlen, so als interdisziplinäres Team zu arbeiten? Das heißt ja wahrscheinlich auch sehr viel Aufwand nicht nur in Koordination und so…
Reck: Der Gewinn ist nicht zu unterschätzen, der Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Ich würde es nicht in jedem Fall empfehlen. Wir haben uns entschieden, uns um Menschen mit bleibenden Erkrankungen/Störungen und Kinder mit Entwicklungsstörungen zu kümmern. Es macht eine Menge Mehraufwand vor allem fürs Büro. Wenn man ganz stark im Bereich Pädiatrie, Neurologie, Psychiatrie unterwegs ist, so wie wir das sind, dann ist der multiprofessionelle Ansatz Sinn und ist eine gute Idee. Wenn man eine Physiopraxis ist mit vorwiegend Orthopädie, einer großen Trainingsfläche und dem Prinzip „ eine viertel Stunde machen wir zusammen, den Rest macht der Patient alleine“ – dann ist es meiner Meinung nach nicht nötig und bringt auch nicht den großen Mehrwert.
up–podcast: Du hast mitten im Corona-Lockdown eine Praxis eröffnet, die auf eine gewisse Größenordnung ausgerichtet war. Woher hast Du den Mut genommen, zu sagen, das wird laufen?
Reck: Das hatte mit Mut nichts zu tun. Wir hatten einen entsprechenden Vorlauf. Wenn Du eine Einrichtung in der Größe planst, machst du das ja nicht von heute auf morgen, sondern mit ein-zwei Jahren Vorlauf. Wir mussten schlichtweg reagieren. Wann findet man eine Bank, wann eine Gewerbefläche… Und als wir das alles hatten, da ging Corona richtig los.
up–podcast: Und da hättest Du doch noch zurückziehen können…
Reck: Nein, das ging schlichtweg nicht. Wir hatten die Zusage für das Geld, das abgerufen werden musste, wir hatten Verträge unterzeichnet… Wir hatten unsere ganzen Vorstellungsgespräche mit Masken in einem Privathaushalt machen müssen. Es ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Wir hatten immer gehofft, dass zumindest Schluss ist mit allen Lockdowns. Dass wir mitten im zweiten Lockdown eröffnet haben, das war wirklich katastrophal für uns, aber das ließ sich nicht anders regeln. Aushalten wäre nicht gegangen. Wir mussten zum Februar 2021 eröffnen, von da an liefen alle Kosten.
up–podcast: Mit welchen Gefühlen bist Du in diese Situation reingegangen?
Reck: Ich kann den meisten Lagen Gutes abgewinnen, aber das war der Horror. Wir sind in einer Zeit gestartet, da hat sich kein Seniorenheim für uns interessiert, die haben uns nicht mal reingelassen. Alle Kindergärten waren geschlossen, alle Schulen waren geschlossen. Es gab keine Erzieherin, die gesagt hat: „Gehen Sie mit ihrem Kind mal zur Logopädin“. Keine Lehrerin, die gesagt hat: „Gehen Sie mit Ihrem Kind mal bitte in die Ergotherapie“. Die ganze endoprothetische Chirurgie wurde auf Eis gelegt. Alles, was aufzuschieben war, wurde aufgeschoben. Wir hatten da wirklich die ersten Monate die Bank im Nacken, der ich andere Versprechungen gemacht hatte, die ich dann nicht einhalten konnte. Es war eng, wir ziehen tatsächlich immer noch ein wenig hinter uns her.
up–podcast: Von Begriffen wir Horror möchte ich ein neues „T“ in die Runde werfen. Das sind Deine Tingeltouren in Deutschland. Du besuchst andere Praxen im Land und schreibst darüber sehr ergreifende, mitreißende Erfahrungsberichte. Hättest Du, wenn es den Beruf Praxiskritiker gäbe, ihn ergriffen?
Reck: Ich glaube, das bin ich irgendwie schon. Es müsste vernünftig bezahlt werden (lacht). Ich würde nicht laut Kritiken schreiben, das finde ich nicht so gut. Ich komme in eine Praxis, weil mich jemand eingeladen hat oder weil es mich interessiert, und dann bin ich darauf bedacht, einen Text zu schreiben, der den Leuten, die ihn lesen, dann auch gut gefällt. Wenn ich etwas total blöd fand – ne Einzelsache – dann schreibe ich die nicht. Wenn ich Kritik habe, dann steht die mit drin. Wenn ich die ganze Praxis blöd fand, dann schreibe ich überhaupt keinen Text.
up–podcast: Wie ist das entstanden mit der Tingeltour?
Reck: Das hat mit Corona zu tun. Mit den ersten Wochen, wo wir teilweise nicht mehr sicher waren, ob wir morgens noch unsere Praxis aufschließen dürfen und viele Praxen zugemacht haben. Das Gesundheitsamt hat uns nichts sagen können, Politiker:innen konnten nichts sagen…Da haben wir uns in Foren zusammengetan, da gab es viele engagierte Koleg:innen, die die Werbungstrommel dafür rühren wollten, dass wir offen bleiben. Da habe ich mich das erste Mal für Berufspolitik interessiert und für andere Praxen, die ganz anders arbeiten und habe angefangen, Praxen anzuschreiben, die besonders laut in Foren waren und habe gefragt, ob ich mir das nicht mal angucken kann – etwa das Teletherapiekonzept oder das Hygiene- und Sicherheitskonzept. Mittlerweile war ich so ziemlich in allen Teilen Deutschlands. Und ich schaue mir nicht nur die coronabedingten Sachen an, sondern auch: was machen die besonders gut, was machen die besser als wir und sage denen auch „es wird alles hemmungslos geklaut“. Wenn ich da etwas finde, was ich echt besser finde als bei uns, dann schnappe ich mir das und versuche es, in Teilen bei uns umzusetzen. [….]
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